Von außen betrachtet wirkt die Nordkirche mit ihren rund zwei Millionen Mitgliedern wie eine stabile Institution. Doch unter der Oberfläche bewegt sich etwas: ein Prozess, der groß gedacht ist und klein anfängt – die interkulturelle Kirchenentwicklung. Einer, der ihn mitgestaltet, ist Nicolas Moumouni. Seit Januar 2023 ist er Referent für Interkulturelle Kirchenentwicklung und im Ökumenewerk der Nordkirche angesiedelt. Eine Aufgabe, die gleichermaßen Mut, Geduld und Klarheit erfordert und die er gemeinsam mit seiner Kollegin Julia Karimi anpackt.
„Meine familiären Bezüge liegen in der ehemaligen deutschen Kolonie in Westafrika – Togo. Geboren bin ich an einem religiös pluralen Ort, in Côte d’Ivoire“, erzählt Moumouni. In Togo studierte er Kulturwissenschaften, Pädagogik und Germanistik mit Magisterabschluss. An der Universität Mainz hat er anschließend ein Masterstudium im Bereich Deutsch als Fremdsprache mit dem Schwerpunkt auf interkultureller Kommunikation absolviert und danach bis 2022 für die Diakonie Hamburg in diversen Funktionen gearbeitet.
Für seine aktuelle Arbeit bringe er nicht nur einen weiten Blick, sondern die entsprechende Haltung mit. Die zentrale Frage im Prozess laute: Wie kann die Nordkirche so gestaltet werden, dass sich Menschen mit Zuwanderungsgeschichte willkommen fühlen?
Ein Anfang sei gemacht. Das „Gesamtkonzept zur interkulturellen Öffnung“ wurde 2022 nach einem fünfjährigen nordkirchenweit angelegten, partizipativen Prozess von der Kirchenleitung verabschiedet. „Das war aus heutiger Sicht für den Transformationsprozess sehr futuristisch gedacht“, sagt Moumouni. Heute sei es aktueller denn je – angesichts von gesellschaftlichen Umbrüchen, dem Erstarken rechtsextremer Bewegungen und einer Kirche, die Mitglieder verliert.
Wachsendes Interesse an Antirassismus-Trainigs
Positiv hebt Moumouni hervor, dass es überhaupt ein eigenes Referat für Interkulturelle Kirchenentwicklung gibt. Im Vergleich zu anderen Landeskirchen sei das ein Alleinstellungsmerkmal der Nordkirche in der EKD. Auch das wachsende Interesse an Antirassismus-Trainings, die das Referat anbietet, sieht er als Erfolg. „Wenn Sensibilisierung gut erfolgt, wissen die Menschen, was ihre Rolle als Einzelne im System ist, und können entsprechend handeln.“
Es gebe Pastorinnen und Pastoren, die Veranstaltungen zum Thema Rassismus organisieren oder ihre Räume anderen Gemeinden zur Verfügung stellen – teilweise sogar ohne Miete, nur mit Beteiligung an den Heizkosten. „Das ist schon gelebtes Miteinander“, sagt Moumouni. Auch erste Überlegungen zu Schutzkonzepten gegen Rassismus, analog zu denen gegen sexualisierte Gewalt, seien in Gemeinden angekommen.
Es gibt noch viel zu tun
Doch den kleinen Fortschritten stehen große Herausforderungen gegenüber. Eine davon ist die nahezu vollständige Homogenität der Strukturen. „Ich bin aus allen Wolken gefallen, als ich hier angefangen und bemerkt habe, wie weiß die Nordkirche ist“, sagt Moumouni. „Wie kann eine Kirche in einer Einwanderungsgesellschaft, deren Vorbild Jesus ist, ein palästinensischer Jude, es nicht schaffen, Menschen, die ihm ähneln, in ihren Strukturen sichtbar zu machen?“
Auch beim Thema Raumteilung sieht Moumouni große Defizite. „Kirche verfügt über viele Räume, aber es gelingt ihr nicht, diese im Sinne der Nächstenliebe mit marginalisierten Gruppen zu teilen“, erklärt er. Migrantische Gemeinden hätten oft nur Gaststatus und würden teilweise mehrere Tausend Euro Miete zahlen. „Das ist kein Miteinander auf Augenhöhe. Menschen wollen mit ihrer ganzen Identität willkommen sein – nicht nur singen, trommeln und kochen beim Gemeindefest.“
Pastoren haben Sklavenschiffe gesegnet
Ein weiteres Problem sei das fehlende Wissen über die eigene Geschichte im Hinblick auf Kolonialismus und Sklaverei. Moumouni verweist auf die koloniale Verstrickung der Kirche: „Es ist nachgewiesen, dass Pastoren Sklavenschiffe gesegnet haben und koloniale Tafeln in Kirchenräumen hängen. Schulen in den Kolonien wurden von Missionen betrieben.“ Die Auseinandersetzung mit dieser Geschichte sei schmerzhaft, für weiße ebenso wie für Schwarze Christinnen und Christen. „Nur wenn wir Zugang zu uns selbst finden, können wir ein Miteinander ohne toxische Energie erreichen.“
Unser Ansatz ist umfassend: „Es geht nicht nur um einzelne Bildungsmaßnahmen, sondern um rassismuskritische Organisationsentwicklung.“ Der Wandel müsse alle Bereiche erfassen, von der Personalpolitik über Sprache und Theologie bis zur Öffentlichkeitsarbeit. Und: „Wir als BIPoCs* brauchen Schutzstrukturen in Kirche. Ich selbst erfahre in dieser Position Rassismus – wie geht es dann Menschen in anderen Funktionen in dieser Kirche?“
Es braucht eine Haltungsänderung
Trotz Widerständen, die oft subtil seien, schöpft er Hoffnung aus dem Engagement vieler Einzelner. „Gott wirkt im Verborgenen. Es gibt viele Kolleginnen und Kollegen, die Veränderung wollen – auch wenn sie nicht die Macht haben, sie sofort durchzusetzen.“ Dennoch sei der Wille ein Anfang, ein kleiner Schritt, von denen es viele brauche.
Am Ende formuliert Nicolas Moumouni einen klaren Appell: „Es gibt kein ‚Ihr‘ und ‚Wir‘. Wir sind alle Menschen nach Gottes Ebenbild.“ Für ein friedliches Miteinander brauche es vor allem die Bereitschaft, sich mit den eigenen rassistischen Verstrickungen auseinanderzusetzen. Nicht als einmalige Pflichtübung, sondern als dauerhafter Prozess der Haltungsänderung.
„Die Kirche ist nicht nur Ort der Verkündigung – sie ist Arbeitgeberin, Bildungsakteurin, Seelsorgeraum. Sie hat Verantwortung“, sagt Moumouni. Wenn sie diese Verantwortung ernst nimmt, könne sie nicht nur glaubwürdig bleiben – sondern auch zukunftsfähig werden.
*BIPoCs steht für Black, Indigenous and People of Color.
