Caritas und Diakonie sehen Sozialstaat unter Druck

“Viele Interessengruppen in unserer Gesellschaft stellen zunehmend ihr persönliches Wohl in den Mittelpunkt.” Tatsächlich Bedürftige gerieten immer mehr aus dem Blick, mahnen Caritas und Diakonie in Baden-Württemberg.

Der soziale Zusammenhalt in Deutschland wird nach Einschätzung von Caritas und Diakonie brüchiger. Ein “vermehrtes Anspruchsdenken” aus verschiedenen Teilen der Gesellschaft bringe den Sozialstaat zunehmend unter Druck, erklärten Repräsentanten der christlichen Wohlfahrtsverbände in Baden-Württemberg am Donnerstag in einer gemeinsamen Pressekonferenz.

Der Blick über den Tellerrand auf das “größere Gemeinsame” gehe zunehmend verloren, sagte Oliver Merkelbach, Vorstandsvorsitzender des Caritasverbandes der Diözese Rottenburg-Stuttgart. “Wir nehmen wahr, dass viele Interessengruppen in unserer Gesellschaft zunehmend ihr persönliches Wohl in den Mittelpunkt stellen”. Die tatsächlich Bedürftigen gerieten dabei immer mehr aus dem Blick. Das aber seien “Menschen, die keine laute Lobby haben und zu oft zum Sündenbock gemacht werden”, so Merkelbach.

Die christlichen Wohlfahrtsverbände verwehrten sich dagegen, “Menschen mit Unterstützungsbedarf Unwillen und Schuld an ihrer Situation zuzuweisen”. Dies seien “Schreckensbilder”, die nicht der Realität entsprächen. Beispielsweise gebe es bei den Bürgergeldbeziehern tatsächlich nur etwa ein Prozent Totalverweigerer von Arbeit oder Ausbildungen.

Urs Keller, Vorstandsvorsitzender des Diakonischen Werks Baden, erläuterte, die Wohlfahrtsverbände stärkten in ihren Diensten und Einrichtungen Menschen, die “ihr Leben mit den ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen nicht so richtig anpacken können”. Ihnen fehle es oft an finanziellen Ressourcen, aber auch an Bildung, Gesundheit oder sozialen Beziehungen. “Wir verstehen uns als Anwalt dieser Menschen.”

“Neue Wege” gehe die Caritas etwa bei der Hilfe für Menschen bei der Wohnungssuche, hieß es. Die “Kirchliche Wohnrauminitiative” sei inzwischen an zehn Standorten in der Diözese Rottenburg-Stuttgart aktiv. Ziel ist es, leerstehenden Wohnraum zu finden und diesen entweder direkt an Mieterinnen und Mieter zu vermitteln oder ihn für eine Zwischenvermietung selbst anzumieten. Seit der Gründung der Initiative im Jahr 2019 sei damit 1.342 Menschen geholfen worden, Wohnraum zu finden.