Bahnbrechendes Urteil gegen die US-Rassentrennung

1954 urteilte das Oberste US-Gericht: Getrennter Unterricht von schwarzen und weißen Kindern ist verfassungswidrig. Doch ein gleichberechtigtes Miteinander gibt es in den USA bis dato noch nicht.

Baseball-Spieler Jackie Robinson (links) und Sänger Harry Belafonte (rechts) mit seiner Frau Julie unter den Demonstranten für die Aufhebung der Rassentrennung an Schulen am 25.10.1958 in Washington D.C.
Baseball-Spieler Jackie Robinson (links) und Sänger Harry Belafonte (rechts) mit seiner Frau Julie unter den Demonstranten für die Aufhebung der Rassentrennung an Schulen am 25.10.1958 in Washington D.C.epd-bild / akg-images / Abbie Rowe

Nur wenige Urteile haben die USA so aufgewühlt wie der Spruch des Obersten Gerichts vom 17. Mai 1954: Ein getrenntes Bildungswesen für schwarze und weiße Kinder sei „von Natur aus ungleich“ und verstoße gegen das Verfassungsprinzip der Gleichbehandlung, befanden die neun Richter. Ein richtungsweisendes Urteil: Denn 17 der 50 US-Bundesstaaten schrieben damals Rassentrennung im Schulwesen vor, in vier lag die Entscheidung bei den Schulbezirken. In vielen Gaststätten wurden Schwarze nicht bedient. Im Nahverkehr mussten Schwarze hinten sitzen.

Es sei der „Anfang vom Ende der zweigeteilten Gesellschaft“, jubelte die „Amsterdam News“, eine Zeitung im schwarzen Viertel Harlem in New York. Manche Schulbezirke akzeptierten die Veränderung. Vor allem im Süden des Landes aber leisteten weiße Eltern erbitterten Widerstand gegen das Urteil, das als „Brown v. Board of Education“ bekannt wurde. Vielerorts gründeten Weiße mit staatlicher Hilfe Privatschulen.

Drei Jahre nach Urteil fand gemeinsamer Unterricht erstmals statt

Erst drei Jahre nach dem Urteil, im Jahr 1957, gingen die ersten schwarzen Schülerinnen und Schüler auf eine Schule, die bislang Weißen vorbehalten war. US-Präsident Dwight Eisenhower musste die Nationalgarde mobilisieren, um sie in der Central High School in Little Rock im US-Staat Arkansas gegen einen weißen Mob zu schützen.

Linda Brown, nach deren Vater das Urteil benannt ist, war bei der Urteilsverkündung elf Jahre alt. Das schwarze Mädchen lebte in Topeka, der rund 80.000 Einwohner zählenden Hauptstadt des Bundesstaates Kansas im Mittleren Westen. Lindas Vater Oliver Brown und andere Eltern hatten die Klage gegen die Schulbehörde (Board of Education) von Topeka eingereicht, die gemeinsamen Unterricht in der Grundschule verboten hatte. Dahinter stand eine Sammelklage des Bürgerrechtsverbands NAACP gegen Diskriminierung im Schulwesen.

Streik des NAACP (National Association for the Advancement of the Coloured People) von St. Louis vor einem Schulamt gegen die Rassentrennung im Schulwesen
Streik des NAACP (National Association for the Advancement of the Coloured People) von St. Louis vor einem Schulamt gegen die Rassentrennung im Schulwesenepd-bild / akg-images

Die Browns wollten Linda in die nur ein paar Wohnblocks von ihrem Haus entfernte „Sumner Grundschule“ schicken. Linda erinnerte sich in einem Interview für die Bürgerrechtsdokumentation „Eyes on the Prize“, wie ihr Vater sie beim Gang zur Schuleinschreibung an die Hand nahm. „Mein Vater hat mir gesagt, ich solle im Vorzimmer warten.“ Das Gespräch mit dem Schuldirektor sei lauter und lauter geworden. „Ich wusste, dass etwas meinen Vater sehr aufgeregt hat.“

Denn die „Sumner Schule“ war eine Schule für weiße Kinder. Linda musste auf eine mehr als drei Kilometer entfernte Grundschule für schwarze Kinder. Erst in der weiterführenden Schule lernte sie gemeinsam mit weißen Kindern.

Noch heute Benachteiligung im US-Schulwesen

Dabei war Topeka ein relativ liberaler Ort in den USA der 1950er Jahre. Sie habe in ihrer Nachbarschaft mit weißen Kindern gespielt, schwarzen und indianischen, erzählte Brown in dem Interview. Doch im Schulwesen zog die Stadt eine harte Linie. Noch in den 1970er Jahren befassten sich Gerichte mit der Umsetzung des Urteils von 1954.

Benachteiligung im Schulwesen gibt es in den USA noch heute. Sie mache sich an sozioökonomischen Umständen fest, sagte Bildungsexperte Richard Kahlenberg dem Evangelischen Pressedienst (epd). Er ist Autor des Buches „Excluded“ (dt. Ausgeschlossen) über Diskriminierung. Kinder wohlhabender Eltern gingen in bessere Schulen. Und die Wohlhabenden haben eher eine weiße Hautfarbe. In den USA werden Schulen zu einem beträchtlichen Teil mit den Grundsteuern im jeweiligen Schulbezirk bezahlt.

Die US-Behörde „Government Accountability Office“ berichtete 2022, Kinder aus einkommensschwachen Familien und schwarze und hispanische Kinder lernten eher in Schulen mit „weniger Ressourcen und schlechten Ergebnissen“. Etwa 80 Prozent der Kinder in Schulen in Bezirken mit niedrigen Einkommen seien schwarz oder hispanisch.

„Brown“-Urteil machte US-Bürgerrechtsbewegung Mut

Wohlhabende Weiße in teuren Wohngegenden versuchten häufig zu verhindern, dass in ihrer Nachbarschaft Wohnungen und Mietshäuser für weniger wohlhabende Menschen gebaut würden, kritisiert Kahlenberg. Das sei ein Paradox: Liberale und gebildete Weiße, die eine Grenzmauer zu Mexiko ablehnten, „sind oft die ersten, die unsichtbare Mauern bauen, um Menschen aus der Arbeiterschicht und People of color von ihren exklusiven Wohngegenden fernzuhalten“. Und damit deren Kinder von ihren Schulen.

Linda Brown starb 2018. Sie hat sich ihr Leben lang gegen Rassendiskriminierung eingesetzt. Der Gouverneur von Kansas, Jeff Coyler, schrieb damals auf Twitter, ihre Geschichte zeige, dass einzelne Menschen „einen unglaublichen Einfluss haben können“.

Eineinhalb Jahre nach dem „Brown“-Urteil weigerte sich die Näherin Rosa Parks in Montgomery (Alabama), ihren Bussitz einem Weißen zu überlassen. Im Januar 1957 gründeten Martin Luther King und andere Pastoren den Bürgerrechtsverband „Southern Christian Leadership Conference“. Anfang 1960 begannen junge Schwarze Proteste in Restaurants, in denen sie nicht bedient wurden. Das „Brown“-Urteil hatte der schwarzen Bürgerrechtsbewegung Mut gemacht.