ChatGPT im Test: Zwischen Segen und Fluch

Ein Programm, das Predigten schreibt oder Zeitungsartikel? Und zwar so, dass niemand merkt, dass die Zeilen von einer Maschine stammen? Die Aufregung ist groß. Unser Autor hat es ausprobiert.

Derzeit versuchen viele Menschen, ob Chat GPT für ihre Zwecke hilfreich sein könnte - so auch unser Autor.
Derzeit versuchen viele Menschen, ob Chat GPT für ihre Zwecke hilfreich sein könnte - so auch unser Autor.Unsplash/Emiliano Vittoriosi

„Helgoländer Pastorin lässt Predigt von künstlicher Intelligenz schreiben.“ „Gebet beim Kirchentag kommt aus neuronalen Netzwerken.“ Es sind Meldungen wie diese, die in den vergangenen Wochen die Neugier weckten: Da passiert etwas bei Verkündigung und Bibelauslegung in der Kirche. Wenn nun auch die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Annette Kurschus, verkündet, künstliche Intelligenz sei ein mögliches Werkzeug zur Unterstützung von Theologinnen und Theologen, dann ahnt man, dass man die Sache ernst nehmen sollte – aber leider keine Ahnung davon hat. Ein Selbstversuch muss her.

Also: Computer einschalten. In den Internet-Browser ChatGPT eingeben – das ist der Name des Wunderprogramms, von dem zurzeit alle reden. Und schon ist man auf einer Seite, auf der man links unten nur noch „Try ChatGPT“ anklicken muss – sinngemäß: „Probier’s einfach.“ Also probieren wir und klicken drauf. Es folgt die im Internet übliche Anmelderoutine aus E-Mail-Adresse, Passwort wählen, Bestätigungsmail anklicken, einloggen.

Kommunizieren mit dem Programm ist einfach

Und schon … tadaaa! … erscheint eine neue Seite. Die überraschend mager und nüchtern wirkt. Das soll das neue Weltwunder sein? Und dann noch alles auf Englisch?

Entwarnung: Man kann mit der Künstlichen Intelligenz (KI) tadellos auf deutsch kommunizieren. Und nun geht’s wirklich los: Unten wartet die Eingabezeile („Send a message …“). Ich tippe ein: „Schreibe einen Artikel über das Leid in der Welt.“ Könnte im nächsten Jahr ja zu Karfreitag erscheinen.

Und die KI antwortet: „Leid ist ein unvermeidlicher Bestandteil des menschlichen Lebens. Es kann in vielen Formen auftreten und von vielen verschiedenen Faktoren ausgelöst werden. Kriege, Armut, Diskriminierung, Naturkatastrophen, Krankheit und Verletzungen …“ Es folgen weitere Aufzählungen, und dass auch Tiere leiden. Auch der Hinweis auf Hoffnung fehlt nicht: „Viele Menschen und Organisationen setzen sich aktiv dafür ein, das Leiden in der Welt zu lindern und zu verhindern.“ Nichts Falsches. Nichts Überraschendes.

Erkenntnis: Die KI sammelt solide Informationen, etwa auf dem inhaltlichen und sprachlichen Niveau eines guten Schulaufsatzes der Klasse 11.
Von ähnlichem Gehalt ist das Ergebnis, wenn man zum Thema Leid wissen will, was die Bibel dazu sagt. Hiob, die Psalmen, Jesus. Leiden als Prüfung und Läuterung. Und am Ende: „Insgesamt zeigt die Bibel, dass Leid eine unvermeidliche Realität im menschlichen Leben ist, aber dass Gott uns in unserem Leiden trösten und helfen kann. Die Bibel ermutigt uns auch, uns mit dem Leid anderer zu beschäftigen und ihnen in ihren Prüfungen beizustehen.“

Auch hier: Solides Ausgangsmaterial. Aber beileibe kein fertiger Text für Journalisten oder Predigerinnen.

Nächster Versuch: „Schreibe mir eine Predigt über Micky Maus.“ Man sollte meinen, dass so eine schräge Aufgabe die KI ins Stolpern bringt. Doch brav spult ChatGPT die Antwort ab: „Liebe Gemeinde, auf den ersten Blick mag es keine Verbindung zwischen der Zeichentrickfigur und dem christlichen Glauben geben. Doch die Bibel erzählt ja viele Geschichten von Menschen, die ihre Ziele und Träume verfolgen. Und genau das tut auch die berühmte Maus.“ Micky als Beispiel für Hartnäckigkeit, Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft.
Voilà – um Inspirationen zu etwas Ausgefallenem zu bekommen, ist die KI jedenfalls einen Blick wert.

Allerdings kann ChatGPT auch richtig Unsinn anstellen. Die Aufgabe „Schreibe einen Nachruf über Gerd-Matthias Hoeffchen“ sorgt erst einmal für Lacher in der Redaktion. Die KI erinnert an einen Holzkünstler aus Thüringen; zwar mit salbungsvollen Worten. Nur gibt es den gar nicht. Selbst längeres Suchen in Adressverzeichnissen fördert keinen Namensvetter zutage. Halbwegs richtig wird das Ergebnis erst, als der Auftrag weiter präzisiert wird (evangelischer Theologe, Journalist, Bielefeld).
Ganz wichtige Erkenntnis: Nie, nie, nie der KI vertrauen. Immer die Ergebnisse überprüfen.

Fazit: Die KI kann Informationen sammeln, bewerten, Meinungen beeinflussen. Sie kann plaudern (ausprobieren!), Ratschläge geben, die gar nicht so schlecht sind (zum Beispiel, wenn ich ihr gestehe: Mir geht es heute nicht so gut). Und sie lernt aus Fragen. Noch ist das nicht ausgereift. Aber das Potenzial ist gewaltig. Schule, Ausbildung, Studium. Aber auch das Gerichts- und Gesetzeswesen. Was für Möglichkeiten tun sich auf, wenn die KI schneller und umfassender denkt als Menschen. Auch beim Erstkontakt in medizinischen Einrichtungen oder bei der Telefon- oder Internetseelsorge könnte eine gut funktionierende KI über die missliche Personalknappheit hinweghelfen.

Rosige Zeiten ziehen da auf, könnte man meinen.
Aber: Man sollte vor lauter Begeisterung die Gefahren nicht aus dem Blick verlieren. Denn die gibt es durchaus.

Fehler und Missbrauch sind möglich

Allen voran die Möglichkeit, Unwahrheiten zu verbreiten. Die mögen von üblen Menschen absichtlich eingestreut werden, um Gesellschaften zu beeinflussen (Fake News), oder schlicht auf Fehlern des Systems beruhen. Die Ergebnisse könnten verheerend sein. Und wir schauen uns ja hier nur ChatGPT an, also einen Text-Algorithmus. Bei Bildern und Videos ist KI bereits viel weiter. Echt und falsch ist in diesen Bereichen schon jetzt kaum noch zu unterscheiden.

Science-Fiction, jene Literatur, die den Blick in die Zukunft wirft, kennt noch eine weitere Spannung. Auf der einen Seite die hilfsbereiten Roboter und Systeme, die nicht nur Arbeit abnehmen, sondern auch Entscheidungen treffen. Auf der anderen Seite die Schreckensvision, dass diese Systeme ja darauf programmiert sind, Fehler und Unvollkommenheit auszumerzen und zu verdrängen. Und die größte Fehlerquelle bleibt nun mal: der Mensch.

Taugt KI also für die Verkündigung der Kirche? Als Anregung und Inspiration ist sie einen Blick wert. Vielleicht gleich mal für eine Predigt: Zwischen Segen und Fluch – KI in der Kirche.