Zwischen Erde und Himmel

Zur Frage, ob Beten hilft, schreibt Frauke Rörden. Sie ist Krankenhausseelsorgerin in Reinbek bei Hamburg.

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Der Predigttext des folgenden Sonntags lautet: „Das Gebet eines Demütigen dringt durch die Wolken, doch bis es dort ist, bleibt er ohne Trost, und er lässt nicht nach, bis der Höchste sich seiner annimmt.“ aus Jesus Sirach 35, 16-22a

„Jetzt hilft nur noch beten.“ Diesen Satz höre ich hin und wieder in meinem Alltag als Krankenhausseelsorgerin. Mal sagt ihn jemand mit einem Augenzwinkern als lockeren Gesprächseinstieg, mal aber auch ganz ernsthaft, weil er oder sie einfach nicht mehr weiterweiß.

Die Frage, ob beten hilft, ist uralt. Sie wird auch schon im Buch Jesus Sirach aus dem 2. Jahrhundert vor Christus gestellt. Es gehört zu den Spätschriften des Alten Testaments und ist eine Art religiöses Lehrbuch für das tägliche Leben. Menschen fragen darin: Wozu noch beten? Haben Arme und Unterdrückte, Witwen und Waisen nicht genug geklagt? Sind nicht genug Tränen geflossen? Sollte nicht Gott endlich einschreiten und für Recht und Gerechtigkeit sorgen? Der Weisheitslehrer antwortet mit einem Bild: Das Gebet eines Demütigen dringt durch die Wolken, doch bis es dort ist, bleibt er ohne Trost, und er lässt nicht nach, bis der Höchste sich seiner annimmt.

Hinter den Wolken

Da ist diese gefühlte Distanz zwischen Gott, oben hinter den Wolken, und dem Menschen hier unten in seinem Leid. Aber diesen Abstand können Menschen durch beharrliches Gebet überwinden. Ihr Gebet bildet einen Strom, der Zeit braucht, bis Gott in ihm ins Leben fließt.

Mir gefällt das Bild des beharrlichen Gebetsstroms zwischen Erde und Himmel. Mir gefällt auch, dass Jesus Sirach die Trostlosigkeit, die sich manchmal einstellt, benennt. Es gibt Situationen, die untröstlich sind und in denen die Worte fehlen. Aber auch da bleibt das Band bestehen. Trostlosigkeit kann sich wandeln. Gott sorgt dafür.

Also hilft das Beten? Auf jeden Fall besteht der Gebetsstrom noch. Menschen erfahren im Gebet Ermutigung, und sie spüren, dass sich etwas ändert – auch wenn Leid und Unrecht nicht sofort vergehen. Sie geben die Hoffnung nicht auf. Die Sehnsucht nach Gerechtigkeit, Heilung und einer besseren Zukunft bleibt lebendig. Ob beten hilft, kann letztlich nur beurteilen, wer es tut.

Unsere Autorin
Frauke Rörden ist Krankenhausseelsorgerin in Reinbek bei Hamburg.

Zum Predigttext des folgenden Sonntags schreiben an dieser Stelle wechselnde Autoren. Einen neuen Text veröffentlichen wir jeden Dienstag.