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Dankbarkeit: Zwischen Selbstfürsorge-Trend und echter Lebenshilfe

Einfach mal danke sagen: Darüber freuen sich die Angesprochenen – und wer Dank äußert, fühlt sich auch meist besser. Allerdings, mahnen Fachleute: ein Geschäft sollte daraus nicht werden.

Kleine Momente können Dankbarkeit im Alltag wecken
Kleine Momente können Dankbarkeit im Alltag weckenImago / Zoonar

Dankbarkeit sei für ihn lange mit Leistung verknüpft gewesen, mit dem Gefühl: “Ich muss dankbar sein”. Was der Comedian Maximilian Gstettenbauer im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) beschreibt, kennen nicht wenige Menschen. Dankbarkeitsübungen seien kein Allheilmittel, mahnt daher der Psychologe und Psychotherapeut Lukas Maher. “Wenn Menschen psychisch stark belastet sind, können sie sich unter Umständen schlechter fühlen. Zum Beispiel inmitten einer Depression kann erzwungene Dankbarkeit dazu führen, dass Betroffene sich selbst abwerten.”

Laut Maher haben depressiv Erkrankte bereits von Verschlechterungen ihres Zustands berichtet – etwa, weil sie sich schämten, zu wenig Positives notieren zu können. Der Welttag der Dankbarkeit am 21. September wurde 1977 von einer Meditationsgruppe der Vereinten Nationen ins Leben gerufen und wird heute auch für ein schlichtes Dankeschön an die Mitmenschen genutzt. Der Impuls für ein freundliches Miteinander droht indes unterzugehen zwischen Dankbarkeits-Apps, aufwändigen Journals, Anleitungen für das “richtige” Ritual – als würden Social-Media-Accounts und Selbsthilfegurus schreien: “Verflixt, sei endlich dankbar!”

Dankbarkeit: Quelle für Zufriedenheit oder Trend im Selbstmarkt

Dankbarkeit kann zufrieden machen – wird mitunter aber ausgebeutet, kritisiert Maher. “Geht es darum, Dankbarkeit zu üben? Oder geht es darum, sich ein spezielles Buch zuzulegen und den Eindruck zu erwecken, dass man sich mit einem Trendthema auseinandersetzt?”, fragt der Experte. Im letzteren Fall handle es sich eher um ein “Angebot aus dem Selbstfürsorge-Supermarkt”. Viele Menschen hätten Schwierigkeiten mit ihrem Selbstwertgefühl. “Wer viel von sich selbst erwartet, presst vielleicht auch noch die Erwartung nach Dankbarkeit in diesen Leistungsrahmen hinein.”

Dankbarkeit im Wandel: Von sozialer Pflicht zu Selbstreflexion

Doch wie steht es jenseits des Selfcare-Hypes um die Höflichkeitsfloskel? Nach Einschätzung eines Historikers haben sich entsprechende Bezeugungen zuletzt stark verändert. Etwa im 18. und 19. Jahrhundert diente die Dankbarkeit vor allem der Stärkung sozialer Beziehungen, sagt Jürgen Dinkel. Jeder Wohltäter sei mit Dank bedacht worden; im besten Fall wurde die empfangene Wohltat auch irgendwann erwidert.

Seit dem 20. Jahrhundert habe die Dankbarkeit allerdings immer häufiger keinen Adressaten mehr: “Man bedankt sich nicht mehr bei jemandem, sondern man dankt für etwas”, erklärt Dinkel.

Historiker Dinkel zeigt, wie sich die Kultur der Dankbarkeit über Jahrhunderte wandelte
Historiker Dinkel zeigt, wie sich die Kultur der Dankbarkeit über Jahrhunderte wandelteImago / Westend61

Diese sogenannte kosmische Dankbarkeit gehe ins Leere; man danke dabei weder Gott noch seinen Mitmenschen, wolle niemandem verpflichtet sein. Stattdessen diene diese Dankbarkeitskultur der Stärkung des eigenen Wohlbefindens und der eigenen Leistungsfähigkeit – nach dem Motto: Was man hat, hat man sich selbst zu verdanken. Dies leiste der Einsamkeit des Einzelnen Vorschub.

Bis ins Bürgerliche Gesetzbuch schaffte es derweil die Ächtung von Undankbarkeit. Bis heute kann “grober Undank” – etwa Beleidigung, Misshandlung, Tötung des Schenkers – damit bestraft werden, dass eine Schenkung rückgängig gemacht wird. Grundsätzlich sind Dankbarkeitsbezeugungen laut Dinkel “keine universelle anthropologische Praxis, sondern eine gesellschaftliche Geste, die gelernt und anerzogen werden muss” und die sich somit auch ändern könne.

Psychologische Perspektiven auf Dankbarkeit im Alltag

Sie funktioniere nach wie vor als sozialer Kitt, sei – wenn vielleicht auch als Floskel – im alltäglichen Leben des Einzelnen zu finden, sowohl am Arbeitsplatz als auch in der internationalen Politik. Und es gebe auch nach wie vor “authentische Dankbarkeit”, sagt der Wissenschaftler.

Apropos authentisch: Es müsse nicht schlimm sein, abends auch einmal festzustellen, dass man an diesem Tag für nichts besonders dankbar sei, betont Psychologe Maher. Denn: “Toxische Positivität ist, unabhängig von einer konkreten Diagnose, selten hilfreich für Menschen.” Damit ist der Druck gemeint, auch in belastenden Situationen positiv zu denken und eher schwierige Emotionen wie Trauer oder Wut zu unterdrücken.

Dankbarkeit entdecken: Gstettenbauers Weg nach Depressionen

Comedian Gstettenbauer, der offen über seine Depressionen spricht, hat die Dankbarkeit nach eigenen Worten unerwartet wiedergefunden. Die Katze seiner Frau, Fiebi, habe sich lange nicht von ihm streicheln lassen, berichtet der 37-Jährige: “Je mehr ich auf Fiebi zugegangen bin, desto mehr hat sie sich zurückgezogen.” Doch eines Tages habe sich das Tier neben ihn gesetzt, als er schlicht lesend auf der Couch saß. “In diesem Moment habe ich verstanden: Vieles im Leben kommt, wenn man es gerade nicht erwartet und zuvor vielleicht losgelassen hat. Damit war plötzlich auch die echte Dankbarkeit da.”