Wo man um die Corona-Toten trauern kann

Ein Pastor in Hamburg lässt eine kleine Kapelle offen, damit Menschen den Verstorbenen der Pandemie gedenken können. Das Angebot wird genutzt – auch nachts.

Ob digital oder real: Pastor Kord Schoeler (l.) und Vikar Jakob Pape schaffen öffentliche Räume zum Gedenken
Ob digital oder real: Pastor Kord Schoeler (l.) und Vikar Jakob Pape schaffen öffentliche Räume zum GedenkenHanns-Georg Hanl

Hamburg. Es ist spät geworden, als Kord Schoeler an diesem Januar­abend von seiner Hunderunde zurückkehrt. In der kleinen Kapelle links neben dem Backsteinportal der St.-Andreas-Kirche brennt noch Licht. Es ist fast Mitternacht, doch der Ort ist noch besucht. Eine Kerze wird angezündet, ein Gebetsanliegen hinterlassen – dann verschwindet der nächtliche Besucher wieder in der Dunkelheit.

Kord Schoeler ist Pastor in der Kirchengemeinde St. Andreas in Hamburg-Harvestehude. Seit März beherbergt das Gotteshaus mit der kleinen Kapelle einen Ort, an dem die Menschen der Toten der Corona-Pandemie gedenken können. Rund um die Uhr. Und das wird rege genutzt. „Daran ist deutlich zu sehen, dass es ein Bedürfnis nach einem Ort gibt, um gemeinsam zusammenzukommen – nicht zur selben Zeit, aber nacheinander – und die Spuren von anderen Menschen in Form einer Kerze oder eines Zettels mit einem Gebetsanliegen zu finden“, so Schoeler.

Mit Sterblichkeit konfrontiert

„In den vergangenen Monaten sind wir in einer Weise mit unserer Sterblichkeit konfrontiert worden, die neu für uns ist“, erklärt er. Doch um sich selbst zu schützen, würden sich die Menschen mit den Einschränkungen im Alltag statt ganz konkret mit dem Sterben beschäftigen. „Ich habe den Eindruck, dass wir bislang vermeiden, uns damit auseinanderzusetzen“, sagt er.

Einen Nerv getroffen

Mit der Offenen Kapelle will die Gemeinde genau das versuchen: einen Gedenkort für Verstorbene der Corona-Pandemie schaffen. Einen Ort der Auseinandersetzung. Es sei viel schwieriger, Schmerz und Trauer allein und isoliert zu erleben, ihn ins Leben zu integrieren, als geteilt, so Schoeler. „In meinen Augen ist aktuell­ genau das eine wichtige Aufgabe und Verantwortung der Kirche, in diesem Bereich präsent zu sein.“

Die Gemeinde bietet außerdem gemeinsame Gedenkfeiern auf dem Kirchplatz an oder aber, dass die Namen der Verstorbenen in der Kapelle auf einer Plexiglasplatte verewigt werden. „Damit haben wir aber scheinbar keinen Nerv getroffen“, so Schoeler. Dabei täte es der Stadt gut, ist sich der Theologe sicher. „Vermiedene kollektive Trauer wird sich irgendwann äußern.“

Auf Instagram gibt Vikar Jakop Pape der Trauer Raum
Auf Instagram gibt Vikar Jakop Pape der Trauer RaumTeggatz, Timo

Doch wenn die Menschen nicht auf dem Kirchplatz gedenken wollen, dann vielleicht im Internet. Das dachte sich zumindest Jakob Pape. Seit Oktober ist er Vikar an der St.-Andreas-Gemeinde und hat auf Instagram das Profil „Mehr_als_nur_eine_Zahl“ ins Leben gerufen. „Wir haben ja täglich große Zahlen, die uns da entgegenspringen. Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass hinter dieser Zahl mehr steckt. Dass da von Personen die Rede ist“, erklärt er. Wer einen Corona-Toten betrauert, kann an Pape eine Nachricht schicken. Er veröffentlicht dann halb anonymisiert Daten und Besonderheiten der Person. Da wird an Dietmar erinnert, der große Pläne hatte und von einem Motorrad träumte.

„Wenn wir heute irgendeinen schrecklichen Unfall hätten, bei dem mehr als 1000 Leute sterben, dann würde es in Deutschland ein öffentliches Gedenken geben. Wir würden als Gesellschaft innehalten. Dieses Innehalten findet aus meiner Sicht zu wenig statt“, meint Pape. Es sei aber wichtig, um den Angehörigen zu zeigen, dass sie in ihrer Trauer nicht allein sind.

„Reden hilft“

Für Trauer gebe es kein Patentrezept, so Pape. „Aber Reden hilft. Und wenn das gerade persönlich nicht möglich ist, sind sicherlich auch Soziale Medien ein Weg, mit anderen ins Gespräch zu kommen.“