Wo Jesus aneckte

Über Kirchen und Gemeinden schreibt Tilman Reinecke. Er ist Pastor im Ruhestand auf Rügen.

Der Predigttext des folgenden Sonntags lautet: „Jesus Christus ist der Eckstein, auf welchem der ganze Bau ineinander gefügt wächst zu einem heiligen Tempel in dem Herrn.“ aus dem Epheserbrief 2, 17-22
Ja, ich sehe sie gern, unsere Kirchen in Stadt und Land. Sie geben Zeugnis davon, wie hier Menschen durch Jahrhunderte bis heute ihren Glauben leben; hier konfirmiert werden, Hochzeit feiern, ihre Kinder zur Taufe bringen, schließlich aber auch ihre Toten betrauern. Freilich, die Gemeinden sind kleiner geworden, doch sie leben auch heute noch. Die Kirchen sind ihr Haus.
Als der Epheserbrief geschrieben wurde, gab es noch keine festen Gebäude für den Gottesdienst. Die Gemeinde war ja gerade erst im Entstehen. Kirche, das ist nicht zuerst ein Gebäude. Es sind vor allem die Menschen, die zur Gemeinde des Christus gehören. Sie bilden den „Tempel des Herrn“. Auch wenn wir uns über unsere Kirchengebäude mit all den Traditionen, die daran hängen, freuen – es geht letztlich um die Lebendigkeit der Menschen, nicht um die festen, unbeweglichen Steine.
Entscheidend ist, dass sich die christliche Gemeinde, die Kirche, auf Jesus Christus gründet und von seinem Geist lebt. Das macht das Bild vom Eckstein deutlich, das der Schreiber des Epheserbriefs für Christus verwendet.
Als der Tempel von Jerusalem in alter Zeit erbaut wurde, da erschien – so wird erzählt – den Bauleuten einer der angelieferten Steine zunächst zu groß. Die Bauleute ließen ihn liegen. Später erkannten sie, dass er an einer Ecke ganz ideal passte und fügten ihn dort ein. Das haben die Christen auf Jesus gedeutet.
Auf diesem Eckstein Jesus Christus ist seine Kirche aufgebaut. Doch an diesem kantigen Eckstein stößt sich die Welt, damals und heute. Jesus eckte an, als er Gottes Liebe brachte, die nicht das Trennende sucht, sondern das Verbindende in aller Verschiedenheit. Auch heute ist diese Botschaft anstößig angesichts der Globalisierung und der vielen Konflikte in der Welt.
Bei aller Liebe zu unseren schönen Kirchengebäuden und ehrwürdigen Traditionen: Sie dürfen uns nicht den Blick verstellen auf diesen anstößigen Eckstein.
Unser Autor
Tilman Reinecke
lebt als Pastor im Ruhestand in Poseritz auf Rügen.
Zum Predigttext des folgenden Sonntags schreiben an dieser Stelle wechselnde Autoren. Einen neuen Text veröffentlichen wir jeden Mittwoch.