Wo Demenz-Kranke für die Erinnerung singen

Ein neuer Chor soll in Henstedt-Ulzburg entstehen: Hier können Menschen mit und ohne Gedächtnisstörung singen – um Erinnerungen zu festigen und gemeinsam Spaß zu haben.

Der “Schlosschor” in Bad Bramstedt ist Vorbild für den “Freitags-Chor”, der in Henstedt-Ulzburg gegründet werden soll
Der “Schlosschor” in Bad Bramstedt ist Vorbild für den “Freitags-Chor”, der in Henstedt-Ulzburg gegründet werden sollChristine Braun

Henstedt-Ulzburg. Musik ist eng mit Erinnerungen verknüpft. Diesen Umstand nutzen die Diakonie Altholstein und die Alzheimer Gesellschaft Norderstedt-Segeberg in Zusammenarbeit mit der Kreis­musikschule Segeberg: Sie möchten in Henstedt-Ulzburg mit dem „Freitags-Chor“ einen Singkreis gründen, der sich richtet an Menschen mit einer Gedächtnisstörung, an deren Angehörige und an alle, die Lust am Singen haben. Vorbild ist der „Schlosschor“ in Bad Bramstedt, der für Henstedt-Ulzburg Pate stand.

„Vor fünf Jahren ist in Bad Bramstedt auf Initiative des dortigen Rotary-Clubs das Chorprojekt „Schlosschor“ für Menschen mit Erinnerungslücken entstanden“, erläutert Marion Janser vom Diakonischen Werk Altholstein. Der Gedanke sei, dass der Chor nicht in einem Pflegeheim singe, sondern mittendrin, nämlich im Torhaus der Stadt. Gleiches soll für Henstedt-Ulzburg gelten, dort wird der „Freitags-Chor“ im Gemeindehaus zusammen kommen. Angeregt haben die Gründung zwei Organisatorinnen vom „Schlosschor“, die Bezug zu Henstedt-Ulzburg haben. „Demenz ist eine Krankheit, die Menschen stigmatisiert“, erklärt Marion Janser. Deshalb tauche Demenz auch nicht im Namen auf – zumal auch alle diejenigen mitmachen können, die nicht an Demenz leiden. „Es geht bei dem Angebot unter anderem um Inklusion.“

Betreuer geben Unterstützung

Spaß am Singen soll im Vordergrund stehen und vor allem diejenigen ansprechen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr im Chor mitsingen. „Viele haben ihre früheren Chöre verlassen, weil sie Dinge vergessen und sich im wahrsten Sinne des Wortes verzettelt haben“, so Marion Janser weiter. „Man weiß, dass sich Demenzkranke früh aus der Gesellschaft zurückziehen.“ Sie würden teils merken, dass sie sich nicht erinnern können, teils sehen, dass das Umfeld seltsam reagiert. „Durch den Rückzug verlieren sie aber weitere Fähigkeiten. Im „Freitags-Chor“ bekommen sie Unterstützung beim Singen.“ Dafür beteiligen sich ehrenamtliche Betreuer, die an den Termin erinnern, Hin- und Rückfahrt organisieren, beim Gang zur Toilette behilflich sind oder Seiten umblättern und beim Text aushelfen. „In einem Workshop werden die Helfer vorher für ihre Aufgabe geschult.“


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Das betreute Singen kommt in Bad Bramstedt sehr gut an und ist für die Initiatoren ein wichtiges Element bei der Arbeit mit Demenzkranken. „Durch die Chorarbeit kann man im gemeinsamen Erleben von Musik bestimmte Hürden auffangen“, sagt Marion Janser. „Viele Menschen haben das Chorsingen in ihrer Biografie.“ Deshalb gehören vor allem Lieder zum Repertoire, die an die persönlichen Biografien andocken. „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“, „Tulpen aus Amsterdam“, aber auch Peter Maffays Songs oder geistliche Lieder helfen den Erkrankten, sich an bestimmte Dinge wieder zu erinnern.

„Bei Demenz hat man keinen bewussten Zugriff auf Erinnerungen, Musik aber umgeht die kognitive Einschränkung“, so Marion Janser. Manche Betroffene würden einen Satz gleich wieder vergessen, könnten aber drei Strophen eines Liedes aufsagen, das für sie Bedeutung hatte. „Zu Beginn der Chorarbeit in Bad Bramstedt hat man Zettel verteilt, auf denen die Liedertexte groß gedruckt standen“, erzählt Marion Janser. „Da haben die Teilnehmer gefragt: Wo sind denn die Noten? Die waren für sie noch ganz präsent.“ Auch die Einteilung nach Sopran, Alt oder Bariton sei für sie wichtig. Während der Pandemie sei das Singen am Gartenzaun oder nach CD weitergegangen, um die Gemeinschaft zu erhalten. „Der Schlosschor hat auch eine eigene CD aufgenommen.“

Am Klavier begleitet

Möglich macht es die Kooperation: Im Chor treffen Expertise zum Umgang mit Demenzkranken und Expertise aus dem Bereich Musik zusammen. Begleitet wird der neue „Freitags-Chor“ zur stimmlichen Orientierung am Klavier. Angehörige, Erkrankte und alle anderen sollen ab September in Henstedt-Ulzburg einmal die Woche zum „Freitags-Chor“ am Freitag von 14.30 bis 16 Uhr zusammen kommen und damit den Demenzkranken Teilhabe ermöglichen. „Mit dem Chor und der Musik wollen wir wieder Gemeinschaft schaffen, Begegnung ermöglichen, allen eine schöne Zeit bieten und an schöne Erinnerungen anknüpfen.“