„Wir wollen gemeinsam glauben“

Aus Entzweiung soll Einheit werden. Den Weg dahin feiern Protestanten und Katholiken im Jahr des Reformationsjubiläums mit einem Gottesdienst voller Zeichen.

Der EKD-Ratsvorsitzende, Landesbischof Bedford-Strohm (li.), und Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz, Kardinal Marx, beim gemeinsamen Gottesdienst
Der EKD-Ratsvorsitzende, Landesbischof Bedford-Strohm (li.), und Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz, Kardinal Marx, beim gemeinsamen GottesdienstJens Schulze / epd

Hildesheim. 500 Jahre nach dem legendären Thesenanschlag von Martin Luther haben Protestanten und Katholiken sich von jahrhundertelangen Anfeindungen distanziert und ihre Gemeinsamkeiten hervorgehoben. Was in dem gemeinsamen Buß- und Versöhnungsgottesdienst am Samstagnachmittag in Hildesheim geschah, drückte Bundespräsident Joachim Gauck am emotionalsten aus – und wich dabei von seinem Manuskript ab: Zu den vielen politischen Wundern, die er erlebt habe, sei nun ein "geistliches Wunder hinzugekommen", sagte der Theologe nach dem Gottesdienst.
"Die Christen in unserem Land bekommt man nicht mehr auseinander", sagte der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Marx, in der Predigt. Das Kreuz und Christus brächten die Christen zusammen, ergänzte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm. Die höchsten Vertreter der beiden großen Kirchen in Deutschland erhielten für ihre Dialogpredigt in der Hildesheimer Michaeliskirche Applaus. "Wir wollen in Zukunft nicht mehr getrennt glauben, wir wollen gemeinsam glauben", sagte Bedford-Strohm.

Bischöfe umarmen sich

Erstmals in der Geschichte nutzen Katholiken und Protestanten ein Reformationsjubiläum nicht zur Abgrenzung. Der Gottesdienst "Erinnerung heilen – Jesus Christus bezeugen", der in der ARD übertragen wurde, ist Teil dieses Prozesses und der Einigung auf den Begriff Christusfest. Unter dem Stichwort "Healing of Memories" erinnern die christlichen Konfessionen daran, was sie einander im Lauf der Jahrhunderte angetan haben, bitten sich gegenseitig um Vergebung und besinnen sich auf den gemeinsamen Glauben an Christus.
Von Scham, Trauer und der "Last der Entzweiung" war im Gottesdienst die Rede. Doch dies sei "ein Tag der Freude", sagte Kardinal Marx. Die Bischöfe, der eine im schwarzen Talar, der andere in Kardinalsrot mit lilafabener Stola, umarmten sich herzlich.
Das Reformationsgedenken solle die Kirchen zusammenführen, sagte der bayerische Landesbischof Bedford-Strohm. Das täten die Christen "nicht anklagend oder niedergedrückt, sondern in einer Haltung der Hoffnung und des neuen Aufbruchs", antwortete der Münchner Erzbischof Marx. Die Christen wollten im Vertrauen auf die Kraft des Heiligen Geistes "weitere Schritte auf dem Weg zur sichtbaren Einheit der Kirchen gehen", bekräftigten sie in einer Selbstverpflichtung.

Kein Abendmahl

Sichtbar wurde das vor der Predigt: Jugendliche richteten ein dreidimensionales Kreuz auf, das zuvor wie eine Panzersperre im Altarraum gelegen hatte.  "Es gibt Wege, die Trennungen zu überwinden", sagte Bedford-Strohm.
Doch auch die noch bestehende Trennung wurde darin: Es gab im Gottesdienst kein Abendmahl. "Noch immer haben wir keinen Weg gefunden, im eucharistischen Abendmahl unsere Gemeinschaft mit Christus untereinander zu feiern", sagte Marx.
Aus dem gemeinsamen Glauben sollen Taten folgen. "Wir wollen ausstrahlen, wovon wir sprechen", betonte Bedford-Strohm. Deshalb setzten sich Katholiken und Protestanten zusammen dafür ein, dass Flüchtlinge menschenwürdig behandelt würden, Menschen Wege aus der Armut fänden und mit der Natur sorgsam umgegangen werde.

Politische Prominenz unter Besuchern

Kardinal Kurt Koch, Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, überbrachte die Grüße von Papst Franziskus und sagte: "Die Hände, die sich evangelische und katholische Christen in den vergangenen Jahrzehnten gereicht haben, lassen sich nicht mehr los." Für die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK) erinnerte Bischof Karl-Heinz Wiesemann, an das, "was manche der kleineren Kirchen und Gemeinschaften bin hin zur Verfolgung erlitten haben".
Unter den rund 400 Gottesdienstteilnehmern in der Simultankirche St. Michaelis in Hildesheim waren auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundestagspräsident Norbert Lammert (beide CDU). Die Kirche wird von Protestanten und Katholiken seit Jahrhunderten zusammen genutzt. (epd)