Winter vertreibt Gemeinden aus den Kirchen

Wenn der Winter kommt, wird umgezogen: Viele Gemeinden im Norden verlassen für Gottesdienste die Kirche, weil es dort zu kalt ist. In kleineren Gemeindesälen ist es wärmer – und familiärer.

Bei Eis und Schnee muss die Gemeinde aus der Kirche ausziehen (Symbolbild)
Bei Eis und Schnee muss die Gemeinde aus der Kirche ausziehen (Symbolbild)Danny Effenberger / Pixelio

Kiel. In einigen Gemeinden der Nordkirche werden angesichts von winterlichen Temperaturen die Gottesdienste in den nächsten Wochen nicht mehr wie gewohnt in den Kirchen gefeiert. Es geht an den Sonntagen ins Gemeindehaus, ins Pastorat oder einen kleinen und extra beheizten Teil der Kirche. Grund für die sogenannte Winterkirche ist, dass sich manche der insgesamt 1.900 Gotteshäuser in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern nur schwer beheizen lassen. Es ist zu kalt für Predigt, Gesang und Gebet.
"Das hat bei uns eine lange Tradition", sagt zum Beispiel Pastorin Annegret Wegner-Braun von der St. Marien-Kirche in Lübeck. Die große Innenstadtkirche mit ihrem fast 40 Meter hohen Gewölbe ist im Winter nicht warm zu bekommen. Deswegen findet der Gottesdienst in der sogenannten Briefkapelle statt. In der benachbarten St. Jakobi-Kirche wird im Winter der Sonntagsgottesdienst in der leichter zu heizenden Sieben-Meere-Kapelle gefeiert. Viele Vorstadtgemeinden ziehen nach Angaben des Kirchenkreises Lübeck-Lauenburg in ihre Gemeindehäuser um.

Entschieden wird vor Ort

Die konkrete Entscheidung ist vor Ort "unter Berücksichtigung der jeweiligen Rahmenbedingungen zu treffen", sagt Stefan Döbler, Pressesprecher der Nordkirche. Beim Umzug ins Gemeindehaus spielt aber nicht nur der Wohlfühlfaktor der Gottesdienstbesucher eine Rolle, sondern auch das Klima für Denkmäler. Kunstwerke und Orgeln vertragen zu schnelle Temperaturwechsel oft nicht.
Diese Erfahrung macht auch Pastorin Dörte Boysen. In ihrer Landgemeinde Brodersby-Kahleby-Moldenit mit drei Kirchen im Kirchenkreis Schleswig-Flensburg ziehen nur die Brodersbyer ins Gemeindehaus. "Es ist technisch und ökologisch nicht sinnvoll, die Kirche zu heizen", sagt Boysen. Die St. Andreas Kirche in Brodersby könne auf vier Grad abkühlen, das störe weder das Bauwerk noch die Kunstwerke oder die Orgel. Die historische Orgel in der Kahlebyer Kirche braucht dagegen eine permanente Temperatur von mindestens elf Grad.
Auch in den zwei Kirchen der nordfriesischen Gemeinde Emmelsbüll-Neugalmsbüll wird unterschiedlich verfahren. Während die Gasheizung die Kirche in Neugalmsbüll recht schnell erwärmt, ist die elektrische Bankheizung in Emmelsbüll ein Stromfresser. "Solange wir Frost haben, feiern wir die Gottesdienste im Gemeinderaum", sagte der Vorsitzende des Kirchengemeinderats, Rolf Wiegand.

Beheizt und gemütlich

Wie auf dem Land schätzen auch die Gottesdienstbesucher in der Stadt die gemütliche Atmosphäre in kleineren und beheizbaren Räumen. Und nicht nur die Besucher. Pastorin Regina Nitz von der Paul-Gerhardt-Gemeinde in Kiel berichtet davon, dass es ihr und ihrem Kollegen fast schwer falle, zurück in die Kirche zu gehen. "In der Winterkirche sind wir viel familiärer zusammen." Dafür schleppt sie gern Stühle und baut den Raum im Gemeindehaus für den Gottesdienst mit um.
Eine Dauerlösung soll der Gottesdienst im Nebenraum oder Gemeindehaus aber nicht sein. Nordkirchen-Sprecher Döbler: "Eine Winterkirche ist keine dauerhafte Alternative und soll ein Kirchengebäude nicht ersetzen." (epd)