Wie sieht Gewalt aus?

Klimawandel, Atomkraft, Krieg – Gewalt hat viele Gesichter. Die Ausstellung „Gegen Gewalt?“ in der Markuskirche Hannover spielt mit der Mehrdeutigkeit des Begriffs.

Rauminstallation mit Fundstücken aus dem Ort Immerath, der wegen des Braunkohletagebaus umgesiedelt wurde.
Rauminstallation mit Fundstücken aus dem Ort Immerath, der wegen des Braunkohletagebaus umgesiedelt wurde.Tobias Hubel

Hannover. „Gegen Gewalt?“ lautet der Titel einer Ausstellung, die am Sonntag, 23. Mai, in der Markuskirche in Hannover eröffnet wird und bis zum 1. Juli zu sehen ist. Zur Eröffnung gibt es um 10 und um 12 Uhr einen Gottesdienst, an dem auch die sieben Künstler teilnehmen, die sich kritisch mit dem Thema Gewalt in der Gesellschaft auseinandersetzen. Die Werke, die auf die Markuskirche abgestimmt sind, präsentieren Zyklen, Installationen sowie Bilder. Sie sollen die Besucher anregen, über die vielfältigen Erscheinungsformen von Gewalt nachzudenken.

Die Idee hatte der Kunsthistoriker Professor Peter Rautmann, der sich seit acht Jahren im Kuratorium der Kulturkirche engagiert. „Wir erleben allgegenwärtig Gewalt, in totalitären Staaten, in kriegerischen Auseinandersetzungen, auf den Straßen und weniger sichtbar auch in Familien“, erläutert er. Gewalt sei ein generelles Thema, mit dem sich auch die Kirche beschäftigen müsse. In der Ausstellung gehe es darum, die Gewalt zu zeigen, die nicht auf den ersten Blick sichtbar sei. Vor allem aber sollten die Werke die Besucher anregen, darüber­ nachzudenken, was Gewalt sei, wo sie beginne und ob Kunst etwas gegen gesellschaftliche Fehlentwicklungen ausrichten könne: „Der Titel der Ausstellung spielt mit der Mehrdeutigkeit des Begriffs Gewalt und ihren vielfältigen Erscheinungsformen“, erläutert Rautmann. Vorschnelle Antworten gebe es nicht. „Ziel ist es“, sagt Rautmann, „die vielfältigen Ausformungen von Gewalt­ zu erkennen, um so Wege aus dem Kreislauf von Gewalt zu finden.“

Virtueller Rundgang

Nicht alle Werke erschließen sich auf den ersten Blick. Daher empfiehlt es sich, vor der Ausstellung an einem informativen virtuellen Rundgang teilzunehmen oder sich über die Arbeit der Künstler zu informieren. Beispielsweise beschäftigt sich die Hamburger Künstlerin Swaantje Güntzel mit den Auswirkungen der Klimakrise. Im Altarraum der Markuskirche hat sie eine Installation zu Garzweiler II aufgebaut. Garzweiler II ist ein großflächiges Landschafts­areal in Nordrhein-Westfalen, in dem seit Jahrzehnten Braunkohle abgebaut wird.

Großer Aufschrei

Einen großen Aufschrei gab es jedoch erst, als der sogenannte Immerather Dom 2018 abgerissen wurde. Swaantje Güntzel war vor Ort und hat Originalsteine vom Immerather Dom, Schiefermaterial vom Dach, eine Lampe aus einem benachbarten Garten geborgen sowie Erde in kleinen Glasflaschen gefüllt. Diese Fundstücke werden zu Beweisstücken der Zerstörung und können im Altarraum der Markuskirche besichtigt werden.

Auf dem Boden in der Markuskirche liegen Steine, eine altertümliche Lampe, Schieferfragmente, zusammengestellt in einem Holzrahmen, ein Regal mit kleinen, mit Erde gefüllten Flaschen, gerahmte Zeichnungen an der Wand, bei denen es sich um Abreibungen von gefällten Bäumen und einer geteerten Straßenoberfläche handelt. Die Fragmente sind geborgene Reste der Zerstörung eines Dorfes mit seiner Kirche im Zentrum.

Blickwinkel verengt

Der Braunschweiger Künstler Timo Hoheisel bearbeitet die Problematik des atomaren Endlagers Asse II. Er hat zu dem Thema recherchiert, Fotografien vom Salzstock gemacht, die Veränderungen der dicken Stahlträger mit der Kamera dokumentiert und die Fotografien in Salzbeton eingegossen.

Dem hannoverschen Künstlerpaar Lotte Lindner/Till Steinbrenner geht es um „offene Sichtweisen, die sich gegen verengte Blickwinkel richten“. Martin Spengler aus München setzt sich in seinen Material­reliefs mit der Alltäglichkeit von kollektiver Gewalt auseinander, Ingo Lie aus Hannover mit der Verletzlichkeit des Menschen. Viktoria Diehn aus Worpswede erinnert in einer Installation zu Leben und Tod von Cato Bontjes van Beek an die lebensverachtende Brutalität des NS-Regimes.
Ursprünglich war die Ausstellung für die Passionszeit geplant, auch sollte es jeden Sonntag eine Führung geben, aufgrund der Corona-Pandemie war das nicht möglich. Führungen werden nun virtuell angeboten.

Info
Informationen zu Begleitprogramm, Führungen, virtuellem Rundgang und den Künstlern gibt es hier. Öffnungszeiten sind Mittwoch bis Sonntag 13 bis 19 Uhr, der Eintritt ist frei.