Wie Investoren die Athanasiuskirche von Hannover umbauen

Oben Wohnen, unten Kultur und dazwischen das „Haus der Religionen“: Die Athanasiuskirche in Hannover zeigt, wie sich frühere Kirchengebäude umnutzen lassen – ein bundesweiter Trend.

Auch der Turm der Kirche hat eine eigene Adresse
Auch der Turm der Kirche hat eine eigene AdresseStefan Heinze / epd

Hannover. Der Kirchturm hat jetzt sogar eine eigene Hausnummer. Böhmerstraße 8A wird sie lauten, erzählt Investor Dirk Felsmann (58). Er öffnet die Eingangstür des weiß getünchten Turms und steigt über einige Windungen die Treppe hoch. Zwar wurden die Glocken längst nach Vorpommern verkauft. Doch der frei stehende Turm wird auch künftig eine zentrale Funktion haben, wenn bald die ersten privaten Mieter in die frühere Athanasiuskirche in Hannover einziehen: „Er dient als Treppenhaus.“ Von dort gelangen die Bewohner über eine Brücke und einen Gang in ihre neu geschaffenen Wohnungen, sagt Felsmann. „Die haben wir unter das Kirchendach gesetzt.“

Der Jurist und Bauingenieur hat die 2013 entwidmete Kirche vor sieben Jahren gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Gert Meinhof von der evangelischen Südstadt-Gemeinde gekauft – für 540.000 Euro. Das Gebäude wurde nicht mehr benötigt, denn die 2009 aus einer Fusion gegründete Gemeinde besitzt noch zwei andere Kirchen. Jetzt wollen die Investoren den Nachkriegsbau, errichtet von 1962 bis 1964, einer anderen Nutzung zuführen. Der Abriss eines solchen Gebäudes wäre für ihn undenkbar, sagt Felsmann: „Wir wollen alte Immobilien erhalten, aus Respekt vor dem Gebäude und der handwerklichen Kunst der Erbauer.“

Viele Kirchen vor Umnutzung

Dass Kirchen für neue Zwecke genutzt werden, entspricht einem bundesweiten Trend. „Die Prognose für die nächsten Jahre ist, dass die Kirchen rund 30 Prozent ihres Gebäudebestandes aufgeben müssen“, erläutert Professorin Stephanie Lieb von der Katholischen Akademie Schwerte. Die Kunsthistorikerin leitet dort ein Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft zum Thema „Sakraltransformation in Deutschland“.

Invesotr Dirk Felsmann zeigt die Terrassen der künftigen Wohnungen
Invesotr Dirk Felsmann zeigt die Terrassen der künftigen WohnungenStefan Heinze / epd

Aus ihrer Sicht werden in Zukunft immer mehr leerstehende Kirchen zum Verkauf angeboten und umgestaltet. „Das nimmt jetzt Fahrt auf.“ Bei einigen Hundert der bundesweit rund 50.000 Kirchengebäuden ist es schon geschehen: Sie wurden zu Musikzentren oder Synagogen umgebaut oder dienen jetzt als Restaurant, Zirkuskirche oder Dorfgemeinschaftshaus.

Für die Athanasiuskirche in Hannover, einen nüchternen Funktionsbau, haben sich die Investoren ein Dreifach-Konzept überlegt: Drei unterschiedliche Nutzungen mit drei separaten Eingängen legen sich in drei Schichten übereinander – wie bei einem Sandwich: Unter dem Dach fünf Wohnungen mit Balkon, im Erdgeschoss ein Kulturzentrum. Und dazwischen das „Haus der Religionen“. Die bundesweite einzigartige Bildungsstätte zum interreligiösen Gespräch, die schon seit langem Mieterin in der Kirche war, eröffnet am Montag, 21. November, ihre neu gestalteten Räume – dazu hat sich sogar Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier angesagt.

Neues Domizil

Die Initiatoren der Bildungsstätte freuen sich über ihr neues Domizil, denn seine Fläche hat sich glatt verzehnfacht. Felsmann und Meinhof haben riesige Fenster in die einstigen Kirchenmauern hineinbrechen lassen, alles wirkt geräumig und hell. „Das Haus der Religionen hat Licht in die Kirche gebracht“, sagt die islamische Theologin Hamideh Mohagheghi mit einem Schmunzeln. Schulklassen und andere Gruppen sollen hier künftig zu Gast sein, eine neue Ausstellung anschauen und darüber ins Gespräch kommen. Auch der Bundeskongress der Räte der Religionen wird hier seinen Sitz haben.

Die Etage darunter wird an die Stadt vermietet, die dort schon seit einigen Jahren ein Kulturbüro betreibt. Hier sollen Chöre proben und Kulturschaffende eine Bühne erhalten. Um die Last der Einbauten in den Etagen darüber zu tragen, ließen die Investoren in den Bühnenraum ganz unten sechs mächtige Säulen einziehen. „Wir haben insgesamt 240 Tonnen Beton hineingepumpt“, erzählt Felsmann, der schon ein Theater, einen Bahnhof oder Kasernen umgebaut hat und vor drei Jahren eine Kirche in ein Studentenwohnheim verwandelte. Fünf Millionen Euro kostet jetzt der Umbau der Athanasiuskirche.

Im Haus der Religionen sollen regelmäßig Veranstaltungen stattfinden
Im Haus der Religionen sollen regelmäßig Veranstaltungen stattfindenStefan Heinze / epd

Für die Wohnungen in der Athanasiuskirche ganz oben ließen die Investoren in den einst 14 Meter hohen Gottesdienstraum Zwischendecken einziehen. „Das Gebäude ist in seiner äußerlichen Hülle komplett erhalten geblieben und zeigt auch noch, dass es mal eine Kirche war“, betont Felsmann. Wer ganz links wohnt, hat sogar noch das großflächige Wandgemälde im Wohnzimmer, das der Münchner Künstler Hubert Distler 1964 für die Altarwand der Kirche schuf.

Professorin Stefanie Lieb unterstützt diesen Ansatz. Wer eine Kirche umbaue, solle möglichst die Intentionen der einstigen Architekten aufnehmen, rät sie. Dirk Felsmann hat allerdings auch ein persönliches Interesse, die frühere Kirche schonend zu behandeln: „Meine beiden Söhne sind hier getauft worden“, erzählt er. „Und ich kann ihnen ja schlecht sagen: Deine Taufe war dort, wo jetzt das Mehrfamilienhaus steht.“ (epd)