Wie Hamburg mit Graffiti bunt geworden ist

Es tat sich was in Hamburg: In den 90er-Jahren wurde die Stadt zum europäischen Zentrum Graffiti-Szene. Eine Ausstellung zeigt die Geschichte zwischen Anerkennung und Ablehnung.

Auch S-Bahn-Wagen waren vor den Sprayern nicht sicher
Auch S-Bahn-Wagen waren vor den Sprayern nicht sicherEvelyn Sander

Hamburg. Eine Ausstellung im Museum für Hamburgische Geschichte zeigt die Entwicklung der Graffiti-Kultur in der Hansestadt. Die Schau „Eine Stadt wird bunt – Hamburg Graffiti History 1980-1999“ erzähle vor allem die Entstehung der Jugend- und Subkultur in den 1980er-Jahren, so die Stiftung Historische Museen Hamburg (SHMH). Die Ausstellung laufe trotz Umbauarbeiten im Museum bis zum 31. Juli 2023. Begleitend dazu gibt es die Smartphone-App „Unsere Stadt wird bunt“, mit der die Stadt auf den Spuren der Subkultur erkundet werden kann.

„Eine Stadt wird bunt“ präsentiert laut SHMH fast 500 Exponate. Die Kuratoren Oliver Nebel, Frank Petering, Mirko Reisser und Andreas Timm waren in den 90er-Jahren selbst in der Graffiti- und Hip-Hop-Szene aktiv. Sie haben Fotos, Texte, Skizzenbücher, Sprühdosen, Zeitungen, Magazine, Schallplatten und zahlreiche Accessoires von Turnschuhen bis hin zu Spraydosen zusammengestellt. Zur Ausstellung gehören auch historische S-Bahn-Sitze aus den 80er-Jahren. Gezeigt wird, wie Graffiti-Sprayer, inspiriert von Filmen wie „Wild Style“ oder „Beat Street“, nachts durch die Straßen zogen und bunte Bilder, Zeichen oder Schriftzüge an Wänden, Brücken und Bahnwaggons hinterließen.

Aktive linke Szene

„In Hamburg gab es einen starken Zusammenhalt in der Szene, die Stadt hatte viele Brachflächen und eine aktive linke Szene“, sagt Kurator Reisser. So habe sich das graue, von der Nachkriegsarchitektur geprägte Hamburg im Laufe der Zeit in eine bunte und diverse Stadt verwandelt, die zu einem der Epizentren der Graffiti- und Hip-Hop-Szene in Europa wurde. Reisser: „Während die ersten Sprayer illegal loszogen, explodierte die Graffiti-Szene in den 90er-Jahren und zählt heute längst zum Mainstream.“

Diese Dosen gehörten zum Arbeitsmaterial der Szene
Diese Dosen gehörten zum Arbeitsmaterial der SzeneEvelyn Sander

„Graffiti gehören zur Geschichte der Stadt“, so Museumsdirektorin Bettina Probst. Sie dokumentierten Entwicklungen in der Gesellschaft, seien häufig Ausdruck einer Protestkultur und spiegelten den Zeitgeist wider. Menschen mögen hin- und hergerissen sein zwischen Ablehnung oder Anerkennung. „Fest steht, dass Graffiti immer noch Spuren im Stadtbild hinterlässt und sich mittlerweile zu einer eigenen Kunstform entwickelt hat“, so Probst. „Eine Stadt wird bunt“ dokumentiere besonders die Anfänge der Szene in Hamburg, ohne zu bewerten.

Begleitend führt die Smartphone-App „Unsere Stadt wird bunt“ an 55 Orte, die einst für die Szene relevant waren – wie die Jungfernstieg-Corner, der Sprüher-Treffpunkt Königsstraße oder das Gymnasium Altona. Mithilfe von Augmented Reality würden Nutzerinnen und Nutzer an historischen Schauplätzen einen Blick in die Vergangenheit werfen. „So verbinden wir die Ausstellung mit der Stadt, wo das Graffiti zu Hause ist“, sagt Probst. Zudem biete die App einen Style-Creator, mit dem sich ein eigenes 3D-Zeichen erstellen lässt.

400.000 Fotos gesichtet

Grundlage der Ausstellung ist das Buch „Eine Stadt wird bunt“, das die vier Kuratoren nach sechs Jahren Recherche 2021 herausgegeben haben. Für die umfassende Dokumentation der Entstehung der Hamburger Graffiti-Szene haben sie 400.000 Fotos gesichtet, das Netzwerk der ehemaligen Sprayer aktiviert und Accessoires für die Ausstellung gesammelt. Kurator Reisser: „Es war für uns alle wie eine gemeinsame, sehr freundschaftliche Zeitreise.“ Einzelne Sprayer hätten dadurch nach 30 Jahren Pause wieder angefangen, Graffiti zu sprühen. (epd)