Wie eine Klinik-Seelsorgerin hilft

Eine Organspende ist belastend – für den Empfänger genauso wie für Angehörige des Spenders. Beide Seiten betreut Klinik-Seelsorgerin Hildegrad Emmermann.

Krankenhaus-Seelsorgerin Hildegard Emmermann vor dem Universitäts-Klinikum Eppendorf
Krankenhaus-Seelsorgerin Hildegard Emmermann vor dem Universitäts-Klinikum EppendorfFriederike Lübke

Hamburg. „Ich werde nie ein Kind vergessen, das sagte: Es wäre doch schön, wenn man in einen Supermarkt gehen und sich ein Herz aussuchen könnte“, sagt Pastorin Hildegard Emmermann. Schon das Kind wusste, dass es in Wirklichkeit ganz anders ist.

Etwa 9000 Menschen warten in Deutschland auf ein neues Organ. Die Zahl der Spenden ist demgegenüber viel kleiner: Rund 3500 Mal wurden im vergangenen Jahr Organe transplantiert, schreibt die Vermittlungsstelle Eurotransplant1. Nach Wochen voller Corona-Nachrichten rückt das Thema am Sonnabend, 6. Juni, wieder in den Fokus. Dann ist der bundesweite Tag der Organspende.

Wochenlange Warterei

Hildegard Emmermann weiß, mit welchen Kämpfen die Organspende für Kranke und Angehörige verbunden ist. Sie arbeitet als Seelsorgerin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) und hilft Patienten, die auf Organe warten. Besonders Herzkranke leben oft wochenlang im UKE. Das Warten zerrt an ihnen. Sie wissen nicht, ob und wann sie ein Spenderorgan bekommen werden, fiebern einem ungewissen Zeitpunkt entgegen und müssen doch auch Tag für Tag leben.

In Boxen kommen die Organe in den OP-Saal
In Boxen kommen die Organe in den OP-SaalAnnette Zöpf / epd

„Die Menschen gehen sehr unterschiedlich damit um“, sagt sie. Ihre Aufgabe sieht sie darin zu hören: Was ist dran? Was braucht jemand in diesem Moment? Manchmal geht es gar nicht um Leben und Tod, sondern um Wünsche wie: Ich möchte meine Klassenkameraden sehen. Oder Sorgen wie: Ich kann mein Haustier nicht behalten. Das normale Leben außerhalb der Klinik geht ebenfalls weiter. Vielleicht geht es dem Bruder nicht gut, oder die Tochter hat Schwierigkeiten in der Schule. „Auch für diese Sorgen muss in der Seelsorge Platz sein“, sagt Emmermann.

Den Gedanken, dass ein anderer Mensch sterben muss, damit sie weiterleben, schieben viele erst einmal zur Seite, solange sie sich auf ihr eigenes Überleben konzentrieren müssen. Schuld­gefühle hat Emmermann noch nicht beobachtet, dafür aber „Dankbarkeit und Wissen um die Kostbarkeit“, sagt sie.

Neue Sorgen

Nach einer gelungenen Transplantation tauchen neue Sorgen auf. Die Auswirkungen betreffen die ganze Familie, oft muss die Ernährung umgestellt, ein Hygieneplan beachtet werden. Der Organ­empfänger bleibt auf Medikamente angewiesen. Manchen Jugendlichen fällt es schwer, die Alltagssorgen ihrer Freunde ernst zu nehmen, nachdem sie selbst an der Schwelle des Todes standen. Einige Menschen haben Probleme, das Spenderorgan als ihr eigenes zu betrachten. Emmermann hat ein Bild für die Zeit danach: Es sei, als betrete man ein neues Land. Man hat die ganze Zeit vor einer Grenze gestanden und auf sie geschaut, aber „wie es dahinter wird, kann man sich nicht vorstellen“, sagt sie.

Sie ist froh, dass weder die evangelische noch die katholische Kirche vorschreiben, wie man sich zur Organspende verhalten soll, denn sie sieht in der Klinik nicht nur die Wartenden, sondern auch die Angehörigen der Spender. Wer als Organspender infrage kommt, ist oft plötzlich gestorben – etwa durch einen Unfall – und war oftmals jung.

Laut Umfrage der TK sind rund acht von zehn Personen (76 Prozent) grundsätzlich dazu bereit, Organe nach ihrem Tod zu spenden
Laut Umfrage der TK sind rund acht von zehn Personen (76 Prozent) grundsätzlich dazu bereit, Organe nach ihrem Tod zu spendenHardy Welsch / Bundeszentrale f. gesundheitliche Aufklärung

Emmermann hat sowohl Familien erlebt, die aus christlicher Motivation froh waren, dass sie in dieser Situation noch jemandem mit einer Organspende helfen konnten, als auch solche, die eine Spende ablehnten, weil sie den von Gott geschenkten Körper nicht antasten wollten. „In dieser Spannbreite sind wir unterwegs“, sagt sie.
Wichtig sei, dass die Angehörigen nicht gedrängt werden und später das Gefühl haben, sie seien überredet worden. Entgegen vieler Gerüchte hat man etwas Zeit für die Entscheidung, berichtet Emmermann, denn der Hirntod des Patienten muss mehrfach bestätigt werden.

„Ein Organspendeausweis hilft“, sagt sie. Darin kann man nicht nur angeben, ob man spenden möchte oder nicht, sondern auch begrenzen, welche Organe man spenden würde. Ebenso wichtig findet sie es, mit Angehörigen über seinen Willen zu sprechen. Sie rät dazu, hin und wieder einen neuen Ausweis zu unterschreiben, damit die Familie sieht, dass die Entscheidung noch aktuell ist. Sie selbst hat ihren ersten Ausweis bereits als Studentin ausgefüllt, vor mehr als 30 Jahren.

Info
Einen Organspendeausweis kann man hier herunterladen.