Wie eine Gemeinde ein Evangelium liest

Seit Anfang des Jahres sitzen sie jeden Montag zusammen und lesen: das Markusevangelium. Eine Gruppe der Kirchengemeinde St. Markus in Hoheluft lernt so den Evangelisten kennen – Streit nicht ausgeschlossen.

Beim Bibel-Studium (v.l.): Pastor Michael Dülge, Diakonin Sabine Simon, Iris Matthiessen, Elke Klein und Gudrun Möller-Holtkamp
Beim Bibel-Studium (v.l.): Pastor Michael Dülge, Diakonin Sabine Simon, Iris Matthiessen, Elke Klein und Gudrun Möller-HoltkampCatharina Volkert

Hamburg. Elke Kleins Augen leuchten: „Und dann können wir ein Fest zum Markustag feiern. Und dabei Marzipan verteilen“, sagt sie zu Pastor Michael Dülge und blickt ihn erwartungsvoll an. Der wiegelt ab und überlegt laut, ob der Begriff „Marzipan“ wirklich mit dem Namen „Markus“ verwandt ist.
Das Markusevangelium beflügelt St. Markus. Im Gemeindehaus der Kirchengemeinde trifft sich seit Anfang des Jahres eine Gruppe, um das Evangelium Wort für Wort durchzulesen. Manchmal sind sie zu siebt, manchmal zu dritt. „Die Idee kam uns bei einem Gemeindefest“, erinnert sich Elke Klein. In einem Gespräch mit Gudrun Möller-Holtkamp und Iris Matthiessen stellte sich heraus, dass es die Frauen reizen würde, biblische Texte am Stück zu lesen, statt im Gottesdienst Woche für Woche die Auszüge zu hören, die die Perikopenordnung vorsieht. „Wir stellten fest, dass wir kein ‚Fadengefühl‘ hatten“, so Klein.

Erst wird gelesen, dann diskutiert

Kurz darauf erfuhr Diakonin Sabine Simon von den Plänen. „St. Markus muss natürlich Markus lesen“, beschloss diese. Seitdem begleiten entweder die Diakonin oder einer der Gemeindepastoren die Lesegruppe. Alle drei Frauen gehören heute zum festen Kern der Gruppe. „Bibel lesen am Stück“ nennen sie den Termin. Der Gemeindebrief kündigt das Treffen als „Experiment“ an.
Wenn die Markus-Leser montags den kleinen Raum im Gemeindehaus betreten, holen sie Bibellexika, Bibeln in unterschiedlichsten Übersetzungen und „Das Evangelium des Markus erklärt von Adolf Pohl“ aus ihren Taschen, auch Kopien gibt es. Denn jeden Abschnitt lesen die Teilnehmer in den Übersetzungen nach Luther 2017, der Elberfelder Ausgabe und der Bibel in gerechter Sprache laut vor. Erst lesen sie, dann diskutieren sie. Dafür folgen sie einem Leseplan. „Beim ersten Treffen haben wir in vielen Bibeln geblättert, quergelesen und verglichen“, erzählt Elke Klein. Ihre Wahl fiel auf eine Übersetzung, die dicht am Bibeltext ist, eine, die andere Schwerpunkte legt – und eben Luther.
Markus 6, die Verse 30 bis 44, steht an diesem Abend auf dem Plan, die Speisung der Viertausend. „Die Jünger zweifeln doch immer. Aber zuvor haben sie einen deutlichen Auftrag von Jesus bekommen zu predigen. Und nun glauben sie“, überlegt Iris Matthiessen. Und dann zerbrechen sie sich den Kopf über das Wunder.

Manchmal fliegen die Fetzen

„Hier sitzt das Priestertum aller Glaubenden am Tisch“, meint Pastor Dülge. Manchmal mischt er sich in das Gespräch ein, kramt Vergleiche mit den anderen Evangelien oder Altgriechisch-Kenntnisse hervor, oft hält er sich aber auch ganz zurück.
Er schätzt das große Vertrauen in der Gruppe. Die drei Teilnehmerinnen, die wirklich Woche für Woche kommen, kennen sich aus ihrer langjährigen ehrenamtlichen Tätigkeit in der Gemeinde gut. „Oft meinen wir, wir hätten etwas verstanden. Aber dann ist das doch ganz anders“, erzählt Elke Klein. Manchmal entzündet sich ein wissenschaftliches Gespräch am Text. Manchmal wird es persönlich. Als es um Jesu wahre Verwandtschaft ging – in dem Text distanziert er sich von seiner Mutter – flogen die Fetzen in der Gruppe. Durfte er so etwas sagen?
Ziel der Markus-Gruppe war es, bis zum Reformationstag fertig zu sein. „Wir hinken aber jetzt schon hinterher“, geben die Teilnehmer zu. Nach Markus folgt vielleicht ein Buch aus dem Alten Testament. „Einen Propheten fänden wir gut“, heißt es. Aber erst einmal bleibt St. Markus dem Evangelisten Markus treu. Wort für Wort.
Info
„Bibel lesen am Stück“ findet jeden Montag um 18 Uhr im Gemeindehaus von St. Markus, Heidestraße 5, in Hamburg statt.