Wie ein Dorf-Pastor gegen Neonazis kämpft

Neonazis sorgen im vergangenen Herbst plötzlich für Unruhe im schleswig-holsteinischen Sülfeld. Pastor Steffen Paar beginnt, sich zu engagieren. Sein Einsatz hat im Dorf einiges in Bewegung gebracht.

Pastor Steffen Paar wendet sich gegen Rechtsextremismus in der Sülfelder Turnhalle im Vorfeld eines Handballspiels
Pastor Steffen Paar wendet sich gegen Rechtsextremismus in der Sülfelder Turnhalle im Vorfeld eines HandballspielsGeorg Wendt / Picture Alliance

Sülfeld. Als Pastor Steffen Paar im vergangenen Herbst aus seinem Urlaub zurückkommt, erkennt er seine Gemeinde fast nicht wieder. Neonazis sorgen in Sülfeld für Unruhe und haben sogar schon eine Frau verprügelt. Viele Bewohner des 3.000-Einwohner-Dorfs in Schleswig-Holstein haben Angst. Der Theologe zögert nicht lange und beginnt, sich zu engagieren. Es ist unter anderem seinem Einsatz zu verdanken, dass sich die Lage drei Monate später wieder etwas beruhigt hat. Doch so schnell wird im Dorf niemand vergessen, was passiert ist.

Der Reihe nach: Im Oktober prangen in Sülfeld plötzlich Aufkleber mit rechtsextremen Parolen an Schildern, Straßenlaternen und Bushaltestellen. Wie sich herausstellt, steckt eine Gruppe um den als gewaltbereit geltenden Neonazi Bernd T. dahinter, der kurz zuvor wieder in seine Heimatstadt, das nahe gelegene Bad Segeberg, zurückgezogen ist. Er versucht, ein rechtsextremes Netzwerk zu gründen, und hat dazu laut Sicherheitsbehörden einige Anhänger um sich geschart. Drei von ihnen leben zu der Zeit in Sülfeld. Als Dorfbewohner eine Reinigungsaktion organisieren, um die Aufkleber abzukratzen, taucht einer der Neonazis auf. Er sprüht einem Mann Reizgas ins Gesicht und schlägt eine Frau nieder. Das Dorf verfällt in eine Art Schockstarre.

Predigt für offene Gesellschaft

Als Paar davon erfährt, verurteilt er die Taten öffentlich auf der Facebook-Seite seiner Kirchengemeinde. Er schreibt an die auf den Aufklebern angegebene E-Mail-Adresse und bietet den Neonazis ein Gespräch an. Eines Morgens findet er auch an seinem Pfarrhaus einen Aufkleber. Am Reformationstag plädiert der Pastor in seiner Predigt für eine tolerante und offene Gesellschaft. Im Anschluss marschieren nach Polizeiangaben rund 250 Sülfelder in einem öffentlichen Spaziergang durch ihr Dorf, um zu zeigen, dass sie sich nicht einschüchtern lassen. Als sie zur Kirche zurückkehren, sind an vier Autos auf dem Parkplatz die Reifen aufgeschlitzt.

Paar lässt sich nicht entmutigen. Er spricht auf einer Kundgebung in Bad Segeberg und schenkt unter dem Motto „Brauner Kaffee statt braune Gesinnung“ Heißgetränke auf dem Sülfelder Marktplatz aus. Zugleich führt er Seelsorge-Gespräche mit verängstigten Dorfbewohnern.

Für Paar war es keine große Frage, sich zu engagieren. Der 39-Jährige, der seine Haare hochstylt und bunte Turnschuhe trägt, galt schon vorher als Querdenker in seiner Kirche. Vor einiger Zeit machte er bereits mit der Aktion „Pastor to go“ von sich reden, bei der Gemeindemitglieder ihn etwa für Haus- und Gartenarbeiten „ausleihen“ konnten. Für Schlagzeilen sorgte der bekennend homosexuelle Geistliche, als er seinen Lebenspartner heiratete. An der Tür des Pfarrhauses, in dem sie gemeinsam leben, klebt heute ein farbiges Schild mit der Aufschrift „Bunt nicht braun“.

Lob vom Außenminister

Für sein Engagement gegen Rechts hat er von vielen Sülfeldern, aber auch von seiner Landeskirche Rückendeckung bekommen. Sogar von Außenminister Heiko Maas (SPD) gab es via Twitter ein Lob für den Einsatz der Sülfelder, die seit den Vorfällen im Oktober zahlreiche weitere Aktionen veranstaltet haben. Vereinzelt erntete Paar aber auch Kritik aus dem Dorf. „Manche haben mir gesagt: Du lehnst dich da zu weit aus dem Fenster.“ Den Pastor schreckte das jedoch nicht ab: „Ich sehe als Kirchenvertreter für mich die Verantwortung, ganz klare Kante zu zeigen“, sagt er. Zwar könne er die Rechtsextremen nicht bekehren. „Aber ich kann Klarheit schaffen, indem ich die Dinge beim Namen nenne, und helfen, Ängste zu überwinden“.


Zu einem Gesprächstermin mit den Neonazis kommt es trotz mehrfacher Nachfrage Paars nicht. Zwar meldet sich Bernd T. bei ihm zurück, und die beiden vereinbaren sogar einen Termin. „Den hat er aber eine halbe Stunde vorher abgesagt“, berichtet der Pastor enttäuscht. Paar chattet stattdessen mit anderen Rechtsextremen im Internet. „Das hat mir geholfen, ihre Einstellung zu verstehen“, sagt er. „Ich teile diese Ideologie nach wie vor nicht, aber diese Menschen haben dieselben Sorgen wie wir: die Familie, die Kinder, das eigene Wohlergehen.“

Neonazi in U-Haft

Inzwischen sitzt einer der drei Neonazis in Untersuchungshaft, weil er andernorts in eine Schlägerei verwickelt war; eine weitere Frau ist aus Sülfeld weggezogen. „Ein Anhänger der Szene wohnt weiterhin hier, ist aber nicht auffällig“, sagt Paar. Im Dorf sei inzwischen eine „gesunde Gelassenheit“ eingekehrt.

Ein Grund, sich zur Ruhe zu setzen, sei das aber nicht. In seinen Predigten will Paar weiter für ein friedliches Zusammenleben werben. Im Februar plant er ein Konzert in seiner Kirche unter dem Motto „Bunte Zukunft“ mit Sebastian Krumbiegel, dem Sänger der Band „Die Prinzen“. Außerdem möchte er regelmäßige Gesprächstreffen organisieren. „Im Dorf ist durch die Auseinandersetzung mit dem Thema Rechtsextremismus ganz viel entstanden. Menschen, die sich vorher nicht kannten, reden plötzlich miteinander. Das möchte ich fortsetzen.“ (KNA)