Wie der Zuhör-Kiosk aus der U-Bahn Corona meistert

In einem Kiosk in der Hamburger U-Bahn-Station Emilienstraße bietet Christoph Busch seit zwei Jahren Gespräche an. Im Interview erzählt er, wie er vom großen Zulauf überrascht wurde und wie er während der Pandemie weiter zuhört.

Christoph Busch in seinem Erzählkiosk in der Hamburger U-Bahn-Station Emilienstraße
Christoph Busch in seinem Erzählkiosk in der Hamburger U-Bahn-Station EmilienstraßePrivat

Herr Busch, vor zweieinhalb Jahren haben Sie relativ spontan Hamburgs ersten Zuhör-Kiosk in einer U-Bahn-Station eröffnet. Was ist daraus geworden?
Busch: Mein Plan war eigentlich, den Kiosk als Schreibstube zu nutzen und gelegentlich Leuten zuzuhören. Doch als ich das erste Plakat aufgehängt hatte, konnte ich mich vor Zuspruch kaum noch retten.
Zwischenzeitlich musste ich sogar Wartelisten führen. Manche Leute suchen nur eine kurze Begegnung am Schalter, andere kommen rein für ein intensives Gespräch. Nach einem halben Jahr habe ich mich dazu entschieden, das Projekt langfristig weiterzuführen und mir Verstärkung zu suchen. Zuhören macht ja auch Spaß. Auch wenn es zum Teil dramatische Geschichten sind, die ich höre, nehme ich sehr viel davon mit und lerne dazu. Inzwischen sind wir 15 Zuhörer und haben einen gemeinnützigen Verein gegründet, der von Spenden lebt.

In der Corona-Krise haben Sie Ihren Kiosk ins Internet verlagert. Die Menschen können per Videokonferenz mit Ihnen sprechen. Wie kommt das an?
Die Idee ist zugegebenermaßen eher aus der Not heraus entstanden. Wir haben uns bewusst für einen Videochat entschieden, weil so wenigstens eine Rest von Mimik des Sprechers zu sehen ist, und nutzen eine norwegische Software, die keine Daten abgreift.
Einige von uns gehen aus dem richtigen Kiosk online – zur Freude der U-Bahn-Passagiere und unserer eigenen. Im Prinzip ist der digitale Kiosk nun von jedem Ort der Welt zugänglich. Aber tatsächlich melden sich weniger Menschen als vorher. Die digitale Unterhaltung ist nicht so schön wie die persönliche Begegnung. Allerdings bietet sie auch Vorteile: Wenn jemand in den Online-Kiosk kommt, dann sitzt er meistens zuhause. Wir sehen dann zum Beispiel seine Wohnküche oder ein Regal im Hintergrund und bekommen eine ganze Menge mehr über den Menschen mit.

Das Team um Christoph Busch Foto: Privat
Das Team um Christoph Busch Foto: Privatthomas hirsch-hueffell

Was treibt die Menschen in der Corona-Krise um?
Wir reden im Kiosk fast nie über Corona. Die Krise ist allenfalls Begleitmusik. Das Thema ist inzwischen fast überall präsent. In jeder Nachrichtensendung wird gezeigt, wie schrecklich die Pandemie ist. Klar ist Corona anstrengend wegen der sozialen Distanz, und klar ist es insbesondere für diejenigen, die ihre Arbeit verloren haben, schwierig. Aber ich glaube, die Menschen möchten einfach über andere Themen reden. Sie sprechen viel lieber über das, was sie sonst so beschäftigt: Arbeit, persönliche Erfahrung, Beziehungen, persönliche Probleme, etwa dass das Gedächtnis nachlässt oder dass sie sich mit jemandem gestritten haben.

Warum haben so viele Menschen das Bedürfnis, Ihnen ihre Geschichten zu erzählen?
Unsere kapitalistische Gesellschaft schürt ganz viele Ängste. Mit Angst lassen sich Dinge noch besser verkaufen als mit Sex. Hinzu kommt, dass wir alle Konkurrenten sind am Markt, etwa bei der Jobsuche oder der eigenen Lebensgestaltung. Viele trauen sich daher nicht, über ihre Probleme mit jemandem zu sprechen. Sie haben nicht den Mut, anderen zu sagen: Hör mir doch mal zu! Bei uns im Kiosk ist das anders. Die Menschen können einfach erzählen und müssen sich nicht darstellen oder darauf achten, dass es eine geniale Pointe gibt. Sie können sicher sein, dass das Gesagte nicht gegen sie verwandt wird. Und wenn sie nicht wollen, müssen sie uns nie wiedersehen. Ich glaube, solche zwanglosen Gespräche vermissen einfach viele im Alltag.

Der Kiosk inmitten der U-Bahn-Züge
Der Kiosk inmitten der U-Bahn-ZügeLucas Wahl

Sehnen Sie sich wieder nach echten Begegnungen in Ihrem Kiosk?
Ja, weil dieser Raum so viel bewirkt. Im Kiosk auf dem U-Bahn-Steig ist man einerseits mitten im Alltag drin und gleichzeitig aus der Welt raus. Der Kiosk ist eine bunte Bude, in der alles Mögliche passieren kann. Auch wenn es sicher ein bisschen anders sein wird als vorher, haben wir uns vorgenommen, spätestens nach den Sommerferien wieder komplett richtig im Kiosk zu sitzen. Den Online-Kiosk wollen wir aber beibehalten, weil es immer wieder Menschen gibt, die aus verschiedensten Gründen nicht zu uns in die U-Bahnstation kommen können. (KNA)