Wie aus einer Kirche in Göttingen ein Kino geworden ist

Was soll aus leerstehenden Kirchen werden? Die Gebäude sind oft denkmalgeschützt, der Unterhalt teuer. Doch sie bleiben besondere Orte – die sich auch ganz anders nutzen lassen.

Im Saal der Kirche stehen jetzt Kinositze
Im Saal der Kirche stehen jetzt KinositzeSwen Pfoertner / epd

Göttingen. Das meiste von der Kirche ist geblieben, auch ein Geruch, der ein wenig wie in einer alten Bibliothek anmutet. Nur die Kirchenbänke sind üppigen Sitzen aus dunklem Samt gewichen. Und wo der Altar stand, hängt jetzt eine Leinwand. Die 118 Jahre alte ehemalige Kirche der Baptistengemeinde in Göttingen ist zum Kino geworden. Über dem Kinosaal mit Foyer und Bistro entstanden zudem auf zwei Etagen vier Mietwohnungen und ein Büro direkt unter dem Dach.

Hier wie überall in Deutschland geht die Zahl der Kirchenmitglieder zurück. Gemeinden werden zusammengelegt, einige Kirchen immer weniger genutzt: Manchmal bleibt nur die Entscheidung für eine Entwidmung, also die Aufgabe als sakraler Bau. Der Unterhalt der Gebäude ist auf Dauer teuer. „Die einzelnen Kirchengemeinden stehen dann vor der Frage, ob sie ihr Geld lieber in Menschen oder in Steine investieren“, sagt die Stadtplanerin und Architektin Kerstin Gothe, Professorin am Karlsruher Institut für Technologie.

Menschen hängen an Kirchen

Die Frage, was aus den profanierten Kirchen werden soll, sei komplex, erläutert Gothe. „Kirchen sind besondere Orte.“ Die Menschen in ihrer Umgebung hingen daran. Selbst diejenigen, die sich sonst nicht als religiös bezeichneten, stünden auf, wenn eine Kirche abgerissen werden sollte. „Kirchen sind für Schwellenrituale wie Taufen, Hochzeiten und Begräbnisse als Orte wichtig.“ Auch nach Terroranschlägen fänden Menschen oft in Kirchen zusammen, um einander zu trösten.

Die ehemalige Baptistenkirche von Außen
Die ehemalige Baptistenkirche von AußenSwen Pförtner / epd

Sollte eine Kirche nach der Entwidmung eine neue Funktion bekommen, müsse diese im Idealfall eine öffentliche Aufgabe erfüllen, fordert die Stadtplanerin: „Traditionell sind Kirchen öffentliche Räume.“ Im Mittelalter und der frühen Neuzeit versammelten sich Menschen darin oder trieben Handel. Die Einschränkung auf rein sakrale Nutzung hat sich Gothe zufolge erst in den vergangenen Jahrhunderten etabliert.

Zudem ragten Kirchen aus baulicher Sicht heraus – im übertragenen wie buchstäblichen Sinne. Mit ihren Türmen und auf einem prominenten Platz im Ort sollten sie von weitem zu sehen sein. „Die Kirchentürme werden manchmal auch Zeigefinger Gottes genannt.“

Leerstand – mehr als 30 Jahre

Auch die Gebäude an sich seien wertvoll: „Oft haben sie die besten Architekten ihrer Zeit errichtet.“ Weit mehr als 80 Prozent aller Kirchen in Deutschland stehen unter Denkmalschutz. Sie einfach abzureißen, gehe allein schon deshalb nicht. „Aber sie stark zu verändern, kann auch problematisch sein.“

In Göttingen stand die frühere Kirche der evangelisch-freikirchlichen Baptistengemeinde mehr als 30 Jahre lang leer. „Vieles war mittlerweile völlig verrottet“, sagt Telke Reeck. Sie ist Geschäftsführerin des kommunal geförderten Göttinger Kinos „Lumière“, das auch das neue Kino „Méliès“ in der Kirche betreibt. Die Sanierungskosten des Sandsteingebäudes aus dem Jahr 1902 waren für die Stadt als neue Eigentümerin schlicht zu hoch. Erst als sich ein Investor fand, konnte in der Kirche ein neues Leben beginnen.

Installateur Peter Böhme legt letzte Hand an
Installateur Peter Böhme legt letzte Hand anSwen Pfoertner / epd

„Dabei wollten wir ihren Charakter unbedingt erhalten“, betont Reeck. Im Kirchensaal wurde dafür das Tonnengewölbe aus Holz von Hand geschliffen, die Balustrade mit Samt bezogen, damit der Ton auch für ein Kino stimmt. „Wenn ein Gebäude sich nicht gut als Kino eignet, dann ist es eigentlich eine Kirche“, sagt Reeck. „Aber wir haben es am Ende geschafft.“

Wie einst Christoph Kolumbus

Auch in anderen Bundesländern werden Kirchen entwidmet: In Bielefeld wurde 2005 die Martini-Kirche als Restaurant neu eröffnet. In Mecklenburg-Vorpommern ist aus einer Klosterkirche ein Orgelmuseum geworden. Expertin Gothe empfiehlt Gemeinden, sich früh um Kooperationen mit Vereinen oder der öffentlichen Hand zu bemühen, um gemeinsam zu überlegen, wie man Kirchen erhalten könne. Zurzeit stünden viele von ihnen einfach leer. Aber: „Wenn es anfängt, durchs Dach hereinzuregnen, ist es für gut durchdachte Lösungen oft zu spät.“

Das konnte in Göttingen verhindert werden. Bei der Eröffnungsfeier des Kinos verglich der Vorsitzende der „Filmkunstfreunde“ Göttingen, Matthias Sonnenburg, die lange Suche nach Räumen für das Kino mit der Entdeckungsreise von Christoph Kolumbus. Er und die Besatzung seiner Schiffe seien zwischenzeitlich auch mutlos gewesen, hätten dann aber doch Land gesehen – „wenn auch ein anderes als ursprünglich geplant“. (epd)