Wenn Weihnachten traurig wird

Weihnachten gilt traditionell als die „schönste Zeit des Jahres“. Dennoch kann sie durch einen Trauerfall überschattet werden. Eine Betroffene und eine Trauerexpertin berichten von ihren Erfahrungen.

Kerzen im Schnee auf einem Friedhof
Kerzen im Schnee auf einem FriedhofStefan Arend / epd

Bonn. „Wir wussten an Weihnachten schon, dass wir nicht mehr viel Zeit haben“, erinnert sich Saskia Schmitt (24). Der Lungenkrebs ihres Vaters war damals, vor acht Jahren, bereits sehr ausgeprägt; die letzten drei Monate der heftigen Therapie hatten ihn stark mitgenommen. Dennoch entschloss sich die Familie, Weihnachten zu feiern, lud sogar noch Verwandte aus der Umgebung ein. „Wir haben versucht, den Schein aufrecht zu erhalten“, erklärt Schmitt. Noch jetzt hat sie einen Kloß im Hals, wenn sie auf das Foto schaut, das an diesem Abend entstand. Ihr Vater, der extra dafür aufgestanden war, zu Weihnachten in der Mitte der Familie. Am 28. Dezember starb er.

„Für uns war es danach unglaublich schwer, überhaupt wieder Weihnachten feiern zu können“, erzählt Schmitt. Sie war damals 16 Jahre alt, ihr Bruder erst 12. Zusammen mit der Mutter entschieden sie sich, in den folgenden Jahren das Fest bewusst anders zu verbringen als bisher. „Wir wollten die Routine unterbrechen und nicht auf ‚heile Familie‘ tun“, berichtet Schmitt. Im ersten Jahr besuchten sie schon an Heiligabend die Großmutter, was sie bisher noch nie getan hatten. Danach ging es über Weihnachten mehrmals in den Skiurlaub. Das war aus einem Grund besonders praktisch: „So mussten wir uns nicht streiten, ob wir nun einen Weihnachtsbaum haben wollen oder nicht.“

Trauern mit Gleichaltrigen

Seit zwei Jahren feiert die Familie das Weihnachtsfest nun wieder deutlich traditioneller: zuhause, im kleinen Kreis, mit Geschenken, Baum und Plätzchen – und doch nicht ohne Diskussionen. „Mein Bruder hat immer noch das Gefühl, dass es zu viel Schein ist“, meint Schmitt. „Bei ihm hat es wohl länger gedauert, bis er die Trauer zulassen konnte.“

Für Schmitt ist diese Trauererfahrung inzwischen Teil ihrer Lebensaufgabe geworden. Als „Chatbegleiterin“ engagiert sie sich seit drei Jahren bei „doch-etwas-bleibt.de“, einem Angebot des Hospizes Bedburg-Bergheim, das in diesem Jahr die Auszeichnung „jung+engagiert“ des Elisabeth-Preises der Caritas Köln erhielt. Es soll Jugendliche und junge Erwachsene, die eine Trauererfahrung gemacht haben, mit Gleichaltrigen in schwierigen Lebenssituationen zusammenbringen, um diesen bei der Verlustbewältigung zu helfen.

Weihnachten sei immer wieder Thema im offenen Chat, den Schmitt und ihre Kolleginnen jeden Montag von 20 bis 22 Uhr anleiten. „Bei einigen zeigt sich dann, dass Weihnachten durch den Verlust für sie nicht mehr das harmonische Familienfest ist, sondern eine wahre Horrorvorstellung“, erklärt Schmitt. „Sie wollen das Fest nicht ohne den Verstorbenen oder sogar ganz alleine verbringen müssen.“ Diesen Menschen erzählt sie offen, wie sie selbst versucht, Weihnachten zu feiern und ihre Trauer zu bewältigen. „Ich habe mich auch oft zurückgezogen, um in Ruhe mit mir selbst zu sein.“ Ihr habe das geholfen, allerdings weiß sie auch, dass dies nicht einfach auf andere übertragbar ist. „Jeder Mensch trauert anders.“

Eine schwierige Zeit

Darin würde ihr wohl auch Barbara Schwenzer unumwunden zustimmen. Die 61-Jährige arbeitet seit elf Jahren als Trauerbegleiterin beim ambulanten Hospiz in Pulheim. In den Gesprächen, die sie mit den Trauernden führt, sticht die Weihnachtszeit ihrer Erfahrung nach deutlich hervor. „Weihnachten ist generell eine sehr emotionsgeladene Zeit“, meint sie. „Natürlich fehlt uns ein Verstorbener an allen großen Familienfesten; an Weihnachten aber eben ganz besonders.“

Dass die Trauer am Christfest eine besondere Note habe, liegt ihrer Ansicht nach neben der traditionellen Festlichkeit auch am Winter: „Während der ‚dunklen Jahreszeit‘ fühlen wir uns oft noch verzweifelter mit unserer Trauer.“ Im Hospizdienst setze sie daher in der Zeit von November bis März mit zusätzlichen Gesprächsrunden verstärkt auf den Austausch mit den Betroffenen.

Jetzt erst recht!

Im Bezug auf den Umgang innerhalb der Familien habe sie unterschiedliche Erfahrungen gemacht: „Einige schmücken gar nicht oder stellen keinen Tannenbaum auf, wenn kurz vor Weihnachten ein geliebter Mensch verstorben ist“, sagt sie. „Andere schlagen aber ganz ins Gegenteil um und denken sich: Jetzt erst recht!“ Bei der Frage, wie es dann in den Folgejahren weitergeht, spiele auch die Zeit eine Rolle: „Das erste Jahr ist sicher immer das schlimmste.“

Einen allgemeingültigen Ratschlag für Betroffene in der Adventszeit kann und will sie nicht geben. „Trauer ist eben sehr individuell.“ In den Trauergesprächen und Kaffeerunden frage sie aber schon nach, ob es Pläne für Weihnachten gibt. „Wenn wir dann merken, hier verbringen mehrere Menschen das Fest allein, versuchen wir schon, unterschwellig eine Verbindung herzustellen.“ Ob diese Versuche allerdings erfolgreich würden, hinge selbstverständlich immer noch von den Personen selbst ab. „Wir können eben niemanden so einfach überreden, Weihnachten mit einem anderen Menschen zu verbringen.“ (KNA)