Weimarer Theater-Intendant Weber über Haltung und Verantwortung
Unpolitische Kunst kann es laut Hasko Weber in der Öffentlichkeit eigentlich gar nicht geben. Wie politisch ein öffentliches Theater aber sein sollte – da zieht er klare Grenzen. Und kritisiert überzogene Erwartungen.
Welche Rolle spielt Kunst, spielt das Theater in den aktuellen gesellschaftspolitischen Debatten? Im Interview mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) spricht der Intendant der Deutschen Nationaltheaters Weimar, Hasko Weber, über Verantwortung und Haltung von Kunst und Künstlern, aber auch wo er klare Grenzen sieht.
KNA: Herr Weber, die aktuelle Spielzeit steht unter dem Motto: “Kostbare Zuversicht” – wie kamen Sie darauf?
Weber: Es spielt auf die gesellschaftliche Situation an, soll aber auch bewusst irritieren. Ohne Zuversicht findet keine einzige künstlerische Bewegung statt. Zuversicht ist nicht nur euphemistisch-positiv, sondern auch als zielstrebig zu verstehen. Der Zusatz “kostbar” soll die Wirkmacht von Zuversicht wieder verdeutlichen. Utopien und Vorsätze, Dinge erreichen zu wollen, die noch unerprobt sind – all das ist ohne Zuversicht nicht möglich. Zuversicht gehört zur positiven Grundausstattung unserer Gesellschaft.
KNA: Ist unserer Gesellschaft die Zuversicht abhandengekommen?
Weber: Man kann den Eindruck schon gewinnen. Es gibt viele komplexe Probleme im politischen Raum, die alle betreffen. Die Frage, wohin sich Demokratien entwickeln. Was bedeutet es, wenn sich ein gesellschaftliches Klima ändert? Nicht zuletzt bleiben die Bedrohungen durch Kriege nicht ohne Einfluss auf das Persönliche. Insofern bedarf es da eines Standpunktes und der Zuversicht, um neue Wege zu sehen und Probleme zu lösen.
KNA: Mit Blick auf die gegenwärtige gesellschaftspolitische Situation: Wie politisch kann, darf und soll Kultur sein?
Weber: Man muss da zwischen Kultur und Kunst unterscheiden. Kulturell sind wir alle gefragt, Haltungen zu entwickeln und Position zu beziehen. In einem öffentlich finanzierten Theater geht es aus meiner Sicht darum, dass die künstlerische Freiheit gewahrt werden muss. Diese Freiheit ist im Grundgesetz verankert, aber wir müssen sie definieren. Darin sehe ich den Impuls und zugleich die Verantwortung von Kunst. Es geht um das immer neue Ausloten von Grenzen. Dafür müssen die Künstlerinnen und Künstler dann auch ihren Kopf hinhalten und sich der Öffentlichkeit stellen. Die künstlerische Freiheit braucht immer auch den Reflex der Gesellschaft.
KNA: Fällt der inzwischen extremer aus?
Weber: Gesamtgesellschaftlich – jenseits der Drohszenarien von ganz rechts außen – sind wir bei Positionierungen schnell dabei, moralische oder ethische Leitplanken aufzustellen und diese zum Beispiel zur Bedingung von Kulturförderung zu machen, Stichwort: Antisemitismusklausel. Das ist aus meiner Sicht ein Eingriff in die Freiheit der Kunst.
KNA: Mit welchen Folgen?
Weber: Wenn man gesetzlich Regeln festlegt, was zugelassen ist und was nicht, könnten diese unter veränderten politischen Vorzeichen anders festgeschrieben werden und restriktiver ausfallen. Und das halte ich für brandgefährlich. Wir müssen in der Lage sein, Meinungs-, Denk- und künstlerische Vielfalt auszuhalten. Wenn wir das aufgeben, sind wir auf dem gefährlichen Weg der Leitplankenkultur und einer Synchronisierung von Kunst. In Ungarn und Polen etwa sind solche Prozesse in kürzester Zeit abgelaufen und haben die gesamte Kulturlandschaft verändert. Kunst kann man nicht verbieten, aber man kann politisch ihre Wahrnehmung einschränken oder manipulieren.
KNA: Ist es schwieriger geworden, explizit unpolitische Kunst zu machen?
Weber: Kunst ist per se immer politisch, wenn sie auf ein Publikum trifft. Erst die Rezeption stellt die Kunst in einen Kontext. Die Funktion von Kunst schließt eine kritische Betrachtung unserer Gegenwart, unserer Welt und des Menschen selbst ein. Aber: Bewusst parteipolitisch oder ideologisch sollten Theater als Institutionen aus meiner Sicht nicht auftreten. Wir gehören nicht zu den ausgewiesenen Einrichtungen unserer Demokratie.
KNA: Bedeutet?
Weber: Es ist nicht unsere Aufgabe, auf tagespolitische Ereignisse zu reagieren. Wir bekommen die Mittel von der öffentlichen Hand zur Verfügung gestellt, um damit frei zu agieren – und zwar unabhängig von Religion und Politik auch ökonomisch frei. Das ist eine riesige Errungenschaft. Das gilt es wertzuschätzen. Gleichwohl soll ein Theater als Institution natürlich eine Haltung zur Gesellschaft und zur Politik haben – diese ist am Repertoire und den Angeboten ablesbar.
KNA: Welche gesellschaftliche Kraft hat denn Theater heute noch?
Weber: Eine relativ stabile. Wenn man sich die Publikumsstatistiken der vergangenen Jahrzehnte ansieht, hat es sich auf konstante sieben Prozent der Bevölkerung in Deutschland eingepegelt, die Theater und Konzerte besuchen. Gewachsen sind die vielen Erwartungen, mit denen wir konfrontiert werden: Bildungsauftrag, Generationenauftrag, Unterhaltungsauftrag.
Wenn wir diesen Forderungen gerecht werden wollten, bliebe am Ende nur noch ein künstlerischer Kompromiss übrig. Ob Theater in diesem Sinne ein gesellschaftlicher Motor sein kann – das würde ich mal mit einem Fragezeichen versehen. Ich vermisse manchmal die Erwartung an eine freie und kritische, an eine riskante Kunst.