Was zwei lesbische Pastorinnen im Alltag erleben

Die Kirche ist bunter, als es sich viele vorstellen. Das zeigt das Pastorinnen-Ehepaar Steffi und Ellen Radtke aus der Nähe von Hildesheim. In einem Video-Tagebuch zeigen sie, wie sie leben, streiten und lachen.

Ein Kuss im Kirchturm: Stefanie (li.) und Ellen Radtke
Ein Kuss im Kirchturm: Stefanie (li.) und Ellen RadtkeYoutube

Hannover/Eime. „Der erste tolle churchy-vlog, den ich richtig witzig und unterhaltsam finde“, schreibt einer. „Das beste, was Kirche online zu bieten hat. Ihr seid der Hammer“, kommentiert ein anderer. Ähnlich überschwänglich äußern sich mehr als 100 weitere Zuschauer kurz nach dem Start zum ersten Video-Tagebuch-Eintrag, mit dem das Pastorinnen-Ehepaar Ellen und Steffi Radtke online gegangen ist. Künftig werden die beiden wöchentlich von ihrem Leben im 1800-Seelen-Dorf Eime bei Hildesheim erzählen. „Denn die evangelische Kirche braucht definitiv mehr Glitzer in ihren Türmen“, sagt die 34-jährige Steffi Radtke.

Die beiden Pastorinnen wollen mit ihrem Youtube-Kanal „Anders Amen“ zeigen, was eine nichtkirchliche Öffentlichkeit bisher kaum mit Kirche verbindet: nämlich dass sie in den vergangenen Jahren durchaus bunter geworden ist „und dass sie auch Menschen wie uns eine Heimat bietet“, so die 35-jährige Ellen Radtke. „Wo unterschiedliche Familien und Lebensformen zusammentreffen, da fängt es an zu glitzern.“ Kirche soll viel öfter zu einem solchen Ort werden, wünschen sich beide. Sie selbst zählen sich eher nicht zum traditionellen kirchlichen Milieu. „Ich gucke das Dschungelcamp und Frauentausch“, sagt Steffi Radtke, die in Berlin-Moabit groß geworden ist. Und die Westfälin Ellen Radtke ergänzt: „Wir sind da, wo die Menschen sind. Wir repräsentieren die Kirche mitten in der Gesellschaft.“

Gefilmt am Küchentisch

Im ersten Video ging es beispielsweise um die Freizeitgestaltung des Paares, das seit sieben Jahren verheiratet ist. Müssen Pastorinnen an einem arbeitsfreien Sonntag in einen Gottesdienst gehen? Am Küchentisch filmen sich die Theologinnen und machen deutlich, dass ein Gottesdienstbesuch nicht zwangsläufig zum ihrem Sonntagsprogramm gehört. Manch einen mag das überraschen, andere freuen sich über die Authentizität. „Wir wollen kein Bild von Kirche um des guten Scheins willen hochhalten“, sagt Ellen Radtke. Die Zuschauerin Lea schreibt dazu unter dem Video: „Danke, dass ihr zeigt, wie Kirche sein kann.“

Jeden Mittwoch um 19 Uhr soll nun abwechselnd ein Eintrag im Video-Tagebuch auf dem Youtube-Kanal veröffentlicht werden oder ein Studio-Talk an der Bar, bei dem die beiden Pastorinnen mit Gästen über Gott und die Welt sprechen, theologisch tiefgründig und kontrovers, aber auch eloquent und unterhaltsam. Dabei nehmen sie ihre Zuschauer mit zum Besuch in eine Kinderwunschklinik, auf Ausflüge mit Konfirmanden und zeigen, wie sie als lesbisches Paar auf dem Land Leben. „Wir haben mit uns selbst kein Problem“, sagt Ellen Radtke. Auch Diskriminierung und Ausgrenzung sind Thema.

Sie wollen Ansprechpartner für queere, junge Menschen sein, auch online. Taufen oder Trauungen von queeren Paaren können sie sich ebenfalls vorstellen. „Die können sich gerne an uns wenden“, sagt Steffi Radtke. „Denn Ablehnung können wir uns als Kirche einfach nicht leisten“, so die Theologin weiter. In der Landeskirche Hannovers sind Trauungen von homosexuellen Paaren zwar seit einem Jahr erlaubt, aber Pastoren, die das mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren können, sind nicht verpflichtet, eine solche Trauung durchzuführen. Dann übernimmt ein Kollege.

Kein Problem mit privaten Szenen

Die Idee zu den Videos kam den Radtkes bereits im vergangenen Jahr. Mit der Preisgabe privater Szenen haben sie kein Problem. „Im Pfarramt steht man ohnehin in der Öffentlichkeit“, sagt Ellen Radtke. „Hier können wir selbst bestimmen, was gesendet wird.“ Pöbeleien und Beleidigungen nähmen sie in Kauf, sagt Steffi Radtke. „Das sind wir gewohnt. Manche Kirchenmitglieder sind so.“ Professionell begleitet wird das Paar vom Evangelischen Kirchenfunk Niedersachsen-Bremen. Rund eine Woche nach der Veröffentlichung zählten die Videos bereits mehr als 8000 Zuschauer, und rund 1200 Menschen haben den Youtube-Kanal „Anders Amen“ mittlerweile abonniert.

Die Landeskirche Hannovers, bei der die beiden Pastorinnen arbeiten, begleite „Anders Amen“ mit viel Sympathie, sagt Arend de Vries, Geistlicher Vizepräsident der Landeskirche. Doch würden sich auch Fragen stellen, so de Vries. „Bisher sprach man davon, dass das Amt die Person trage. Heute scheint sich das umzukehren.“ Pastoren seien mit dem Amt der Verkündigung des Evangeliums beauftragt, so de Vries weiter. „Und wir müssen diskutieren, wie sich das zum Persönlichen und Privaten verhält.“