Was wirklich wichtig ist

Über einen Beinahe-Unfall und den Anruf danach schreibt Lars Löwensen. Er ist evangelisch-lutherischer Pfarrer in Wildeshausen bei Bremen.

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„Endlich wieder Freiheit.“ Auf Höhe des weißen Schildes mit den fünf grauen Querstreifen trat er kräftig aufs Gas. Diese Skandinavier mit ihrem Tempolimit. Eigentlich wollte er ja den Flieger nehmen, aber in diesen Zeiten. Da lobte er sich doch seinen Dienstwagen. Wenn es nach ihm gegangen wäre, dann hätte sein Chef auf diesen Plug-in-Hybrid-Kram verzichten können. Es hatte ihn überrascht, dass er gegenüber seinem geliebten TDI sogar noch PS hinzugewonnen hatte.

Wie aus dem Nichts war der LKW ausgeschert. Reflexartig trat er mit aller Kraft auf die Bremse. Sein Gehirn ratterte Ausweichszenarien durch, während die Rückleuchten des schweren Fahrzeuges immer näher kamen. Er konnte schon das Splittern von Glas hören, sah, wie sich das Metall verformte.

Völlig unvermittelt sah er sich wieder in dieser Andachtshalle. Die Beerdigung seines Vaters. Anschaulich und mit wertschätzenden Worten hatte der Pfarrer aus dessen Leben erzählt.

Wie in Trance

Kein Wunder, waren seine Eltern doch regelmäßige Kirchgänger gewesen. Auch zur goldenen Hochzeit und zum 80. Geburtstag hatte er diesen freundlichen Menschen bei seinen Eltern sitzen sehen. Ein Satz aus der Predigt traf ihn erneut mit voller Wucht: „Können wir von heute auf morgen Abschied nehmen, oder ist noch etwas unerledigt, ungesagt, ungetan?“

Der Aufprall kam nie. Wie in Trance fuhr er auf den nächsten Rastplatz. Mit zittriger Stimme forderte er sein Smartphone auf, die altbekannte Nummer zu wählen: „Hallo Mama, ich wollte dich am Wochenende endlich mal wieder besuchen. Hast du Zeit?“

Unser Autor
Lars Löwensen ist evangelisch-lutherischer Pfarrer in Wildeshausen bei Bremen.

Zum Predigttext des folgenden Sonntags schreiben an dieser Stelle wechselnde Autoren. Einen neuen Text veröffentlichen wir jeden Dienstag.