Was nach dem Schlusspfiff kommt

Für immer leben. Das ist nicht unbedingt erstrebenswert. Denn dann ginge auch endlos weiter, was das Leben schwer macht. Was nach dem Tod kommt, können wir nur erahnen. Aber es wird unfassbar gut.

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„Nach dem Spiel ist vor dem Spiel!“ Das weiß nicht nur, wer sich für Fußball begeistert. Kaum eine Woche, in der kein wichtiges Fußballspiel ausgetragen wird. Der Ball läuft immer weiter – eine schier endlose Reihe von fußballerischen Begegnungen. „Das Leben geht weiter!“ So hören Menschen, die um einen verstorbenen Angehörigen oder Freund trauern. Dieser Satz ist zugleich richtig und falsch. Das Leben geht weiter, weil die Lebenden ihr Leben zwischen Schlafen und Aufstehen, Arbeiten und Einkaufen, Fußballschauen und Spazierengehen fortsetzen.
Doch das Leben geht nicht weiter mit dem einen Menschen, der gestorben ist und der nun fehlt. Dessen Leben ist an ein Ende gekommen. Denen, die um ihn trauern, wird häufig die Endlichkeit ihres eigenen Lebens bewusst. Irgendwann wird auch für sie zu Ende gehen, was im Alltag als unendliche Folge von Erlebnissen scheint, an deren Anfang man sich ebenso wenig zu erinnern vermag, wie man sich einen Schluss vorstellen kann. Sicher ist dennoch: Auch das eigene Leben wird zu Ende gehen.
Die Traditionen und Symbole des christlichen Glaubens wissen um die Endlichkeit allen menschlichen Lebens. Eine christliche Beerdigung ist ein wirklicher Abschied, wie die Worte „Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub“ ausdrücken. „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel“ gilt für die christliche Anschauung von Leben und Sterben nicht. Denn das Leben ist nicht unendlich. Nach dem Tod geht es nicht einfach weiter wie bisher.

Lieder vom ewigen Leben

Und doch ist mit dem endgültigen Schlusspfiff nicht alles aus. Wer am letzten Sonntag des Kirchenjahres in einen Gottesdienst geht, begegnet Texten und Liedern, die vom ewigen Leben reden. „Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein“, steht im 21. Kapitel der Offenbarung. Der Name des Sonntags ist wie eine Überschrift zum Brauch, Kerzen für die Verstorbenen anzuzünden: Ewigkeitssonntag. Zur Trauer um die Toten kommt die Hoffnung, dass sie „ewiges Leben haben“, wie es im Johannesevangelium heißt.
Das ewige Leben, von dem die Bibel redet, ist dabei nicht einfach die Fortsetzung des bisherigen Lebens, das auf wundersame Weise über den Tod hinaus verlängert wird. An ein ewiges Leben glauben heißt nicht einfach, auf ein endloses Weiterleben hoffen. Viele hochbetagte Menschen spüren, dass dies auch gar nicht erstrebenswert wäre – nicht nur, weil Alterserscheinungen und Krankheiten ihnen zusetzen.
Sie haben das Gefühl, ihr Leben gelebt zu haben, mit seinen Höhen und Tiefen. Sie sehnen sich nach einer Ruhe und einem Frieden, den sie im Nachtschlaf nicht mehr finden. Die Vorstellung, unendlich lang zu leben, mag in jugendlichem Alter verlockend erscheinen. Doch viele Menschen wollen das nicht. Denn auch „Tränen, Leid, Geschrei und Schmerz“, wie es in der Offenbarung heißt, also all das, was das Leben schwer macht, würde dann unendlich weitergehen.
Das Wort „ewig“ beschreibt nicht die endlose Ausdehnung des Zeitstrahls über den Tod hinaus. Es weist vielmehr auf eine besondere Eigenschaft, eine besondere Qualität des „ewigen Lebens“ hin, die Hoffnung macht. „Ewigkeit ist der ganze und vollkommene Besitz unbegrenzbaren Lebens.“ So schreibt Boethius, ein Philosoph und Theologe, am Anfang des sechsten Jahrhunderts. Ein Leben in Ewigkeit findet keine Grenze mehr durch den Tod. Es wird aber auch nicht begrenzt durch Leiden und Schmerzen. Es ist erfülltes Leben, voller Sinn und Glück.

Augenblicke, in denen einfach alles stimmt

„Vollkommen.“ In der auf Latein verfassten Schrift des Boethius steht dafür „perfecta“. „Perfekt!“, das sagt man, wenn etwas schlicht unübertrefflich ist. Die perfekte Welle für den Surfer, der perfekte Geschmack des Essens, der perfekte Klang des Orchesters. In manchen Augenblicken stimmt einfach alles. Sie sind perfekt, weil sich alles, was gerade ist, richtig und gut anfühlt.
Solche Glücksmomente haben es an sich, dass sie vorbeigehen. Manche erleben sehr wenige solcher Momente. Das ist eine Ungerechtigkeit, die „Tränen, Leid, Geschrei und Schmerz“ hervorruft. Andere erleben einen einzigen perfekten Moment und zehren davon ihr ganzes Leben lang.

Nach dem Tod geht es unsagbar gut weiter

Wer an ein ewiges Leben glaubt, hofft auf den perfekten Augenblick, ausgedehnt über alle Grenzen hinweg. Hinweg über die Grenzen der Zeit, des Todes, der ungerechten Verteilung von Glück. In der Ewigkeit, die nach dem Tod kommt, findet das Glück keine Grenze mehr.
Die Schrift, in der Boethius den Begriff Ewigkeit beschreibt, heißt „De consolatione philosophiae“ – auf Deutsch: „Über den Trost der Philosophie“. Die Philosophie erscheint Boethius hier in Gestalt einer Frau, die ihm im Gespräch über seine Verzweiflung hinweghilft. Er schreibt dieses Buch im Gefängnis, während er auf seine Hinrichtung wartet. Ein billiger Trost, eine bloße Vertröstung ist das nicht, was ihm das Gespräch mit der Philosophie gibt. Sondern ein Trost, der zu leben und zu sterben hilft.

Das Leben voll auskosten

Einen solchen Trost birgt auch der christliche Glaube an ein ewiges Leben in sich. Er vertröstet nicht einfach auf das Jenseits, im Gegenteil, er birgt einen Trost, der dem Leben hier und jetzt dient. Der Glaube an die Ewigkeit hilft, das Leben mit allen Höhen und Tiefen voll auszukosten. Denn wer auf ein Leben in Ewigkeit hofft, kann die Endlichkeit des Lebens annehmen – die eigene Hinfälligkeit und Unvollkommenheit ebenso wie die des anderen. Er kann leben mit eigenem Scheitern und mit dem Abschied von geliebten Menschen.
Die Endlichkeit des Lebens annehmen, das ist wie sich einüben in die Ewigkeit. Denn erst nach dem Ende wird es richtig gut. „Wenn es nicht gut wird, ist es noch nicht das Ende.“ Oscar Wilde bringt auf den Punkt, was es mit der christlichen Hoffnung auf ein ewiges Leben auf sich hat. Der Tod ist ein Endpunkt, ein echter Schlusspfiff, nach dem es nicht weitergeht wie bisher. Es geht vielmehr so unbeschreiblich gut weiter, dass alle Worte und Bilder eines Lebens nach dem Tod  nur tastende Versuche sein können, dieses unbeschreiblich Gute erahnen zu lassen.

Unsere Autorin

Dr. Christina Costanza ist Studienleiterin im Theologischen Studienseminar der Vereinigten Lutherischen Kirche Deutschlands in Pullach bei München.