Warum Lukas Mey katholischer Pfarrer werden will

Die katholische Kirche steckt in der Krise. Immer mehr Missbrauchsfälle kommen ans Tageslicht. Nur noch wenige Männer wollen Priester werden. Lukas Mey ist einer von ihnen.

Lukas Mey in der Bibliothek des Priesterseminars Borromaeum in Münster
Lukas Mey in der Bibliothek des Priesterseminars Borromaeum in MünsterAngelika Osthues / epd

Osnabrück/Münster. Mit raumgreifenden Schritten läuft Lukas Mey durch die hohen Flure des Priesterseminars "Collegium Borromaeum" in Münster. Der 25-Jährige – einsneunzig groß, Adidas-Turnschuhe, Jeans, blaues Hemd, Strickjacke – zählt zu den Exoten in Deutschland. Er will katholischer Priester werden. 
Mit einer Mischung aus Stolz und freundlicher Bescheidenheit präsentiert er sein Zuhause: Hier die Bibliothek, dort die Kapelle. Nach einem Kurzbesuch in der WG-Küche lädt er in die "CoeliBar" samt Tischkicker, Theke und Bierzapfanlage: "Das ist eindeutig unser beliebtester Treffpunkt", sagt Mey und schmunzelt. 

Keine Priesterweihe in diesem Jahr

Der fünfstöckige Backsteinbau von 1854 hat 150 Zimmer. Nur noch 16 sind von Priesteranwärtern belegt – aus den vier Diözesen Münster, Osnabrück, Essen und Aachen. Noch in den 1990er Jahren waren es an die 100, nur aus den Bistümern Münster und Osnabrück.
Mey trotzt einem Trend. Die Zahl der Priesterweihen in Deutschland geht kontinuierlich seit Anfang der 1970er Jahre zurück. 1962 waren es noch 557 junge Männer, die geweiht wurden, 1975 nur noch 191. Nach einem zwischenzeitlichen Hoch Ende der 80er Jahre zählte die Deutsche Bischofskonferenz 2015 nur noch 58 Priesterweihen. 
Im Bistum Osnabrück ist die Zahl der Anwärter nach Angaben eines Sprechers seit 2012 in den einstelligen Bereich gerutscht. Zum zweiten Mal nach 2017 wird es dort in diesem Jahr keine Weihe geben. Neben dem Finanzskandal im Bistum Limburg hätten vor allem die Missbrauchsskandale die katholische Kirche in den kritischen Fokus der Öffentlichkeit gerückt.

Was die Studenten über Missbrauch sagen

Auch die Priesteranwärter, die an der Uni Theologie studieren und im Seminar zusätzliche Kurse absolvieren, lässt das nicht kalt. Mey erzählt, manche Seminaristen müssten sich Vorwürfe anhören, dass sie in einer Kirche Priester werden wollten, die Missbrauch begünstigt und vertuscht habe. 
Auch wenn sie noch lernen, sparen Mey und seine Mitstudenten nicht mit Kritik. Auf keinen Fall wollen sie in den Verdacht geraten, sie sähen die Missstände in der Kirche nicht oder unterstützten sie womöglich. Beim gemeinsamen Mittagessen betonen sie, sich für Veränderungen einsetzen zu wollen. 
Mey wird konkret: In punkto Missbrauch müsse es schonungslose Aufklärung und Sanktionierung der Täter geben. Die Kirche müsse aber vor allem mehr für die Opfer tun. Auch an den Strukturen der Kirche müsse sich etwas ändern, findet der junge Mann. Frauen in Führungspositionen zu holen, halte er für ganz wichtig. "Ich möchte mit Frauen und Männern gemeinsam Kirche leiten." Auch die Verpflichtung zur Ehelosigkeit gehöre auf den Prüfstand.
Mey und seine Mitstudenten schätzen es, dass das Borromaeum die Priesterausbildung mittlerweile offener gestalte und um wichtige Themen erweitert habe. Am Mittagstisch diskutieren ein Jura-Student und ein BWLer mit ihnen. Seit 2015 dürfen Studenten anderer Fachbereiche im Borromaeum wohnen. Vor kurzem sind im Rahmen eines Freiwilligen Sozialen Jahres sogar erstmals Frauen eingezogen.

Gespräche über Sexualität

Untereinander und mit den Ausbildungsleitern sprechen die Seminaristen ausführlich auch über Sexualität. Jeder müsse klären, wie er damit umgehe. "Sonst ist ein Leben im Zölibat (in der Ehelosigkeit) nicht möglich", sagt Lukas Mey. "Wer sich verliebt, kann eine Auszeit nehmen – mit der Option, nachher wiederzukommen." Jeder zweite Anwärter bricht die Ausbildung ab – die meisten wegen einer Partnerschaft.
Auch der junge Emsländer, der in einem katholischen Elternhaus in der Nähe von Lingen aufgewachsen ist, hatte sich eigentlich "einen kirchlichen Beruf, aber mit Familie vorgestellt". Schon früh hat er sich in der Kirche ehrenamtlich engagiert, auch in Leitungsfunktionen.
Erst während des Theologiestudiums – Ziel war Pastoralreferent – sei der Wunsch gereift, Priester zu werden. Im achten Semester sei er dann ans Borromaeum gewechselt. "Jetzt muss ich hier für mich persönlich klären, ob das mein Lebensentwurf sein kann." Wichtig sei ihm, den Menschen die Liebe Gottes weiterzugeben, die ihm selbst viel Kraft gebe. 
Manchmal allerdings braucht der 25-Jährige auch Abstand. "Ich habe viele Freunde in meiner Heimat, die mit Kirche nichts zu tun haben. Es tut gut, mit denen mal über ganz andere Dinge zu sprechen." Über Fußball zum Beispiel: Hin und wieder kickt der Priesteranwärter auch selbst. Außerdem hat er eine Dauerkarte beim VfL Osnabrück. "Bei den Heimspielen stehe ich dann in der Ostkurve." (epd)