„Warum lässt Gott das zu?“

Über eine Begegnung mit einer kranken Frau schreibt Pastorin Frauke Rörden. Sie ist Krankenhausseelsorgerin in Hamburg.

Der Predigttext des kommenden Sonntags lautet: „Denn die Torheit Gottes ist weiser, als die Menschen sind, und die Schwachheit Gottes ist stärker, als die Menschen sind.“ aus dem 1. Korintherbrief 1, 18-25
„Ich glaube nicht an Gott, tut mir leid. All das Elend, all die Kriege. Nein, wenn es einen Gott gäbe, würde er das nicht zulassen.“ Die Frau, die das zu mir sagt, kenne ich. Vor zwei Tagen habe ich sie schon einmal besucht. Sie leidet an Diabetes und schlechter Durchblutung. Kürzlich wurde ihr ein Unterschenkel amputiert. Die Wunde heilt schwer. Sie sieht ihr bis dahin glückliches und selbstbestimmtes Leben in immer weitere Ferne rücken. Wenn sie von Elend spricht, meint sie auch ihr Elend.
Aber jetzt gerade will sie kein Mitgefühl. Jetzt gerade sucht sie die Auseinandersetzung. Ich greife den Ball auf und sage: „Das Elend lässt sich wirklich nicht wegdiskutieren. Sie erleben es gerade selbst. Also bleibt mir nur zu sagen: Wenn es Gott gibt, dann lässt er Elend zu. Und das empört Sie.“ – „Ja, das empört mich. Gucken Sie mich doch an! Was soll das alles hier?“
Nun ist die Patientin bei sich und ihrer Situation. Sie kann ihrer Wut über ihr Schicksal und ihrer Angst vor der Zukunft Ausdruck geben. Tränen fließen, weil sie wirklich verzweifelt ist. Aber danach kann sie ihre Gedanken auch wieder von ihrer Erkrankung abwenden. Am Ende des Gesprächs erzählt sie mir noch von ihrem Enkelkind, das gerade bei ihr im Krankenhaus war und den neuen Schulranzen vorgeführt hat. Sie hoffe ja, zur Einschulung im Spätsommer wieder mit dabei zu sein. Das sei ja noch lange hin, aber immerhin eine Perspektive, die ihr Kraft gibt. „Es ist schon mein drittes Enkelkind. Was für ein Geschenk!“
Ich frage nicht noch mal nach, ob es ihrer Meinung nach Gott gibt oder nicht. Ich vertraue einfach darauf, dass es ihn gibt. Er wirkt gerade nicht als Allmächtiger, der jede Situation wenden kann, sondern als Tröster, der Menschen nahe ist und sie an die Quelle ihrer Kraft führt. Das erlebe ich oft und danke Jesu Christus dafür, der Kreuz und Elend kennt und doch ins Leben ruft.
Und so verabschiede ich mich von der Frau mit einem einfachen „Tschüss“ – aber das heißt ja eigentlich auch nichts anderes als „Adieu – Gott befohlen“.
Unsere Autorin
Pastorin Frauke Rörden
ist Krankenhaus­seelsorgerin in Hamburg-St. Georg.
Zum Predigttext des folgenden Sonntags schreiben an dieser Stelle wechselnde Autoren. Einen neuen Text veröffentlichen wir jeden Mittwoch.