Warum Jesus ein „Rolling Stone“ war

Hamburg. Hauptpastor Christoph Störmer hat ein Buch geschrieben: darüber, wie eng Popmusik und Religion miteinander verbunden sind. Er klärt die Frage, warum Jesus ein „Roling Stone“ war.

Popmusik und Kirche – da gibt es Verbindungen
Popmusik und Kirche – da gibt es VerbindungenFotolia

Von Silke Nora Kehl
Altstadt. „Mit 15 ging es los“, erinnert sich Hauptpastor Christoph Störmer. Nach seiner Konfirmation hatte er sich endlich das lang ersehnte Transistorradio kaufen können. „I can get no satisfaction“ von den Rolling Stones, „Help“ von den Beatles – mit dieser Musik sei per Mittelwellen-Übertragung ein „neuer, wilder und vibrierender Sound“ in das abgeschiedene hessische Dorf gedrungen, in dem er aufwuchs. „Das war elektrisierend“, sagt der heute 65-Jährige.
Jeden Abend habe er sich nach den Hausaufgaben ans Radio geschlichen und mit Hörstecker im Ohr den neuen Rock-, Beat- und Bluestiteln aus England und den USA gelauscht. Auch die Predigten des US-amerikanischen Baptistenpastors Billy Graham wurden im Rundfunk übertragen, nur ein paar Frequenzen neben der „Europawelle“, wo die Hitparade lief. Grahams Predigten habe er damals als „vitale, engagierte Frömmigkeit“ empfunden, so Störmer. Und ebenfalls als elektrisierend.
Heute gehören Popmusik und Religion für ihn ganz klar zusammen. In seinem neuen Buch „Wie ein rollender Stein“ nimmt Störmer den 1965 von Bob Dylan komponierten Song  „Like a rolling stone“ zum Ausgangspunkt für mehrere Predigten. In dem Song geht es um eine hochmütige reiche Frau, die sich über Obdachlose lustig macht. Bis sie ihr ganzes Geld verliert und auf der Straße lebt. „How does it feel / To be on your own / With no direction home / Like a complete unknown / Like a rolling stone”, textete Dylan.

Songs gegen den Krieg

Im Englischen sei „rolling stone“ eine Umschreibung für „Vagabund“.  Auch Jesus sei ein „rolling stone“ gewesen: Sein sozialer Status habe dem eines Landstreichers geglichen, „von der Krippe bis zum Kreuz“. Und Jesus habe einem Gott vertraut, der ein Herz aus Stein in ein mitfühlendes Herz verwandeln könne.  Sowohl in der Geschichte der Popmusik als auch in der Geschichte der Bibel seien Steine eine feste Größe, schreibt Störmer. Er verweist auf Jakob im Buch Genesis, der erlebt habe, dass sich ein Stein als Pforte des Himmels erwies. Und auf den Stein vor Jesu Grab, der so schwer wog und dennoch hinweggerollt wurde. Er schreibt über das Ritual der Steinigung und den Weg des Propheten Elia ins felsig-karge, weit von den Menschen entfernte Gebirge.
Auch in seinem Leben gebe es eine Parallele zwischen Musik und Glauben. „Die Popmusik hat immer etwas in Gang gesetzt bei mir“, berichtet er. Der Beat, der Rhythmus und die Kraft in der Musik – sie hätten das Potenzial, festgefügte Begriffe und starre Lebenskonzepte zu verflüssigen. In der Protestbewegung der 1960er-Jahre sei das der Fall gewesen: Songs gegen den Krieg mobilisierten Tausende Menschen, die sich im Klang und der Botschaft wiederfanden. „Auch in der Bibel steckt diese Kraft, dieser Gehalt“, erklärt Störmer. „Nicht in den schwarzen Buchstaben, sondern in dem Zwischenraum.“
Theologische Fragen beschäftigten Störmer schon früh, doch für den Beruf des Pastors entschied er sich erst Jahre nach dem  Abschluss seines Zweitstudiums. Nach dem Ersten Theologischen Examen finanzierte er sein Pädagogikstudium mit Lehraufträgen an verschiedenen Schulen. Bis er die Berufung spürte und ins Vikariat ging. Neben seiner Tätigkeit als Pastor absolvierte Störmer Fortbildungen im psychotherapeutischen Bereich. Dieses Zusammenwirken so unterschiedlicher Interessen ist für sein Leben wohl bezeichnend.
„Bibliodrama – also das Erspielen und Erleben biblischer Szenen durch eigenes biographisches Material – kann ähnlich wie das Psychodrama, das eine Form therapeutischen Arbeitens ist, erstarrte Strukturen heilsam auflösen und die seelischen Kräfte wieder zum Fließen bringen“, ist Störmer überzeugt. Und somit könnten sie ähnliche Kräfte freisetzen wie die Musik. Seine eigene Stimme zu finden und mit dem Atem in den Klang hinein zu gehen – auch dies könne ein versteinertes Herz wieder für das Leben öffnen.

Info

Christoph Störmer, Wie ein rollender Stein. Vom Glauben, der in Bewegung bringt
Lutherische Verlagsgesellschaft 2015
12,95 Euro
ISBN 978-3-87503-182-9
Der Autor spendet sein komplettes Honorar dem Obdachlosenmagazin „Hinz und Kunzt“.