Warum eine Gemeinde in Hannover obdachlos geworden ist

Seit Anfang des Jahres ist die Kirchengemeinde Ledeburg-Stöcken heimatlos. Die Corvinus-Kirche ist bereits abgerissen, doch das geplante Gemeindezentrum lässt sich nicht mehr finanzieren – wegen der stark gestiegenen Baukosten.

Pastor Gerd Peter im Gespräch mit Kirchenvorsteherin Brigitta Westendorf auf dem Stöckener Markt
Pastor Gerd Peter im Gespräch mit Kirchenvorsteherin Brigitta Westendorf auf dem Stöckener MarktWolfgang Schattler

Hannover. Ein Schaukasten, ein Bauwagen und eine umzäunte, aber leere Baustelle sind die einzigen Hinweise auf die Kirchengemeinde Ledeburg-Stöcken. „Wir befinden uns in einer provisorischen Phase“, umschreibt Pastor Gerd Peter die schwierige Situation. Die Gemeinde hat nämlich seit Anfang des Jahres keinen eigenen Versammlungsort mehr, und das geplante Gemeindezentrum mit Kindergarten kann nicht wie usprünglich geplant bis 2023 gebaut werden. „Wir sind heimatlos“, sagt Pastor Peter. „Und weil wir nicht wissen, wie lange die Planung für einen preiswerteren Neubau dauert, ist das ziemlich antrengend.“

Der Gemeinde im Nordosten Hannovers, die sich ihre Post mittlerweile an die benachbarte Zachäusgemeinde­ schicken lässt, sind die dramatisch gestiegenen Baukosten zum Verhängnis geworden. Gerade habe sich die Gemeinde getroffen und diskutiert, wie es weitergehen kann, erzählt Peter. „Viele Gemeindemitglieder sind frustriert.“ Der Abriss der Corvinuskirche sei umstritten gewesen. Zudem sei ein weiteres Gotteshaus der Gemeinde, die Bodelschwinghkirche, erst zum Jahreswechsel an einen Investor verkauft worden.

Bauanträge waren schon genehmigt

Usprünglich hätte bis 2023 anstelle der abgerissenen Kirche an der Moorhoffstraße ein neues Gemeindezentrum gebaut werden sollen, auch mit den Erlösen des Verkaufs der Bodelschwinghkirche. Die Bauanträge waren längst genehmigt, die Ausschreibungen verschickt. „Wir hatten großzügig geplant“, sagt der 61-jährige Seelsorger. Aber die Angebote der Unternehmen seien „exorbitant­ teuer“ gewesen. Statt der rund 7,2 Millionen Euro beliefen sich die Kosten plötzlich auf rund 10 Millionen Euro – unbezahlbar für die Gemeinde.

Am Bauwagen finden Konzerte und Nachmittage für Kinder statt Foto: Kirchengemeinde Ledeburg-Stöcken
Am Bauwagen finden Konzerte und Nachmittage für Kinder statt Foto: Kirchengemeinde Ledeburg-Stöcken

Ledeburg-Stöcken wird kein Einzelfall bleiben. Die Landeskirche Hannovers erwartet inzwischen bei mehr als hundert größeren Baumaßnahmen Nachfinanzierungen. „Grundsätzlich sind die Kirchengemeinden und die Landeskirche von den Baupreissteigerungen in gleicher Weise betroffen wie andere Bauherren oder Bauwillige“, sagt Oberlandeskirchenrat Adalbert Schmidt, der die Bauabteilung im Landeskirchenamt leitet.

Als Folge der Preissteigerungen sei nicht auszuschließen, dass substanz­erhaltende Baumaßnahmen zurückgestellt werden müssen. Dadurch könne ein erheblicher Bauunterhaltungsstau entstehen, fürchtet Schmidt. Alle Planungen von Bauvorhaben würden zusätzlich erschwert. „Insgesamt ist die Situation für Kirchenvorstände als Bauherrenvertreter mit einem erhöhten Arbeitsaufwand und Belastungen verbunden, sodass hierdurch weniger Kapazitäten für andere Gemeinde­arbeit zur Verfügung stehen.“

Treffen im Bauwagen

Die Kirchengemeinde Ledeburg will aus ihrer Heimatlosigkeit eine Tugend machen. Eine Planungsgruppe soll Ideen entwickeln, wie die Gemeindearbeit in der Übergangszeit gestaltet werden kann. Denkbar sei beispielsweise, einen Baucontainer, eine Holzhütte oder ein Zelt auf dem Gelände aufzustellen. Doch schon jetzt setzt die Gemeinde Ideen um: Sie feiert Gottesdienste im Freien und hat einen Bauwagen an der Moorhoffstraße aufgestellt, wo Nachmittage für Kinder und Musikveranstaltungen stattfinden. Eine „Tiny Church“ auf einem Fahrradanhänger läutet zu Gottesdiensten, und auf dem Stöckener Markt lädt die Gemeinde zu Gesprächen ein. „Wir wollen nicht Trübsal blasen, sondern rausgehen“, sagt Pastor Peter.

Am Neubau in der Moorhoff­straße hält die Gemeinde allerdings fest. „Uns fehlt das Zuhause. Und wir müssen uns mit einem Kirchenbau im Stadtteil zeigen.“