Warum ein deutsches Ehepaar Kirchenführungen in Norwegen macht

Sie sind große Norwegen-Fans: Rolf und Gudrun Niemeyer aus Schwabstedt bei Husum. Seit dem Jahr 2018 nutzen die 70-Jährigen ihren Sommerurlaub, um in ihrem Lieblingsland Führungen durch drei historische Stabkirchen anzubieten.

Gudrun Niemeyer in norwegischer Tracht vor ihrer Stabkirche in Øye
Gudrun Niemeyer in norwegischer Tracht vor ihrer Stabkirche in ØyePrivat

Wie hat sich Ihre große Liebe zu Norwegen entwickelt?
Gudrun Niemeyer: Als junges Mädchen sah ich den Film „Und ewig singen die Wälder“ aus dem Jahr 1959, der in Norwegen spielt. Da wusste ich, dass ich das Land unbedingt kennenlernen wollte. Mein Mann hatte die gleiche Sehnsucht nach Norwegen. Wir verbrachten 1983 dort unseren ersten Urlaub. Die erste Stabkirche, die wir zu sehen bekamen, war die von Øye. Ich habe nicht gedacht, dass ich 30 Jahre später in derselben Kirche als Führerin tätig sein würde.

Welche Voraussetzungen mussten Sie für dieses Amt mitbringen?
Rolf Niemeyer: Meine Frau fand eine Anzeige im Internet, dass das Tourismusbüro der Region Valdres Personen suchte, die Kirchenführungen anbieten konnten. Wir haben uns beworben, und die Begeisterung war auf beiden Seiten groß.
Gudrun Niemeyer: Wir mussten einen Zertifizierungskurs belegen. Norwegisch haben wir gleich nach unserem ersten Norwegen-Urlaub über die Volkshochschule in Berlin gelernt und uns dort später der norwegischen Kirchengemeinde angeschlossen. Durch die Gottesdienste und die Kirchencafés haben wir die Sprache verinnerlichen können.

Was hat Sie zu dieser Aufgabe motiviert?
Rolf Niemeyer: Wir verbinden das Angenehme mit dem Nützlichen und erleben einen herrlichen, abwechslungsreichen Urlaub, treffen die unterschiedlichsten Menschen, von Amerikanern über Japaner und Chinesen bis hin zu einheimischen Touristen. Wir nehmen an vier Tagen in der Woche Führungen vor, manchmal auf Norwegisch, Englisch und Deutsch gleichzeitig. Oft entspinnen sich Gespräche und Diskussionen über Religion, Geschichte oder Architektur. Es ist kein Massenbetrieb, und Besucher können sich für die Kirche so viel Zeit nehmen, wie sie brauchen.

Rolf Niemeyer in der Kirche von Høre
Rolf Niemeyer in der Kirche von HørePrivat

Was ist das Besondere für Sie an „Ihren“ Stabkirchen?
Gudrun Niemeyer: „Meine“ Kirche liegt direkt an einem See. Es ist auch die originelle Geschichte einer „Kirche unter der Kirche“. Durch viele Hochwässer war das mittelalterliche Gebäude nach 600 Jahren in sehr schlechtem Zustand. Im Jahr 1746 wurde eine neue Kirche, zwar aus Holz, jedoch keine Stabkirche, in der Nähe des alten Standplatzes eingeweiht. Die ursprüngliche Kirche war verschwunden. Es ging das Gerücht um, dass von dieser in einer Nacht- und Nebelaktion 156 Teile unter dem Fußboden des gerade eingeweihten Gotteshauses versteckt worden waren. Tatsächlich fand man im Jahr 1935 genau diese Bauteile wieder und beschloss, die alte Kirche neu zu errichten. Das alte Material reichte aus, um sie – bis auf ein neues Dach – wiederaufzubauen. Nun stehen zwei Kirchen fast nebeneinander. Ich mache die Führungen in jener, die mit originalen Bauteilen errichtet wurde.

Was ist es für ein Gefühl, als deutsche Staatsbürger Touristen durch eine mittelalterliche norwegische Stabkirche zu führen?
Rolf Niemeyer: Viele Norweger sind zuerst verblüfft, wenn sie erfahren, dass wir deutsche Urlauber sind, die in einer gemieteten Hütte wohnen und hier Kirchenführungen vornehmen. Wir erfahren stets große Anerkennung und Respekt. Es haben sich gute, solide Kontakte zu den näheren Nachbarn ergeben.

Was bereichert Sie am Ende einer Saison besonders?
Gudrun Niemeyer: Besondere Freude machen uns Führungen mit Kindern. Sie entwickeln Ehrfurcht vor dem Ort an sich und vor seinem Alter. Wir erklären nicht nur Gegenstände, sondern machen die Kirche zu einem begreifbaren Erlebnis und bieten einen Blick hinter die Kulissen. Unsere Passion ist Norwegen als Land mit seinen Einwohnern, mit allen Facetten und Lebensbereichen. Wir haben alles Norwegische quasi „absorbiert“. Es ging – und geht – uns immer um die Menschen in ihrem heutigen und früheren Umfeld. Wichtig ist uns auch die Auseinandersetzung mit den gemeinsamen Wurzeln und Beziehungen zwischen Deutschland und Norwegen. Die Stabkirchen sind ein besonderes Kulturgut, sie haben eine Seele, und es tut gut, sich dort aufzuhalten. Es sind Häuser, die wispern und uralte Geschichten erzählen.