Warum die Sylter Pastorin die Formel 8-12-18 schätzt

Sylter Geistliche müssen momentan viel Seelsorge leisten. Pastorin Susanne Zingel erzählt, weshalb sie auch viele Menschen anrufen, die nicht auf der Insel leben.

Blick auf den berühmten Sylter Dünenstrand (Archivbild)
Blick auf den berühmten Sylter Dünenstrand (Archivbild)Nordenfan / Wikimedia Commons

Keitum/Sylt. Das wichtigste Arbeitsmittel für Susanne Zingel ist derzeit das Telefon. Zingel ist Pastorin der St.-Severin-Gemeinde in Keitum auf Sylt. Als Seelsorgerin ist sie gerade sehr gefragt, aber Besuche machen kann sie nicht. Das heißt: „Vor allem wird lange und viel telefoniert“, sagt sie. Für sie ist es ungewohnt, mit Menschen, die sie gut kennt, nur über das Telefon zu kommunizieren. Allerdings rufen nicht nur die Insel­bewohner an, sondern auch Menschen von weit her, die sich mit der Insel oder der Gemeinde verbunden fühlen. Zingel vermutet, dass sie sich in Gedanken bewusst an einen anderen Ort versetzen möchten und sich eine „Zuhörer-Oase“ wünschen.

Ein wichtiges Thema sind die Menschen, die auf der Insel ihren zweiten Wohnsitz haben – und das ist eine große Gruppe. Sie fühlen sich ausgeschlossen, weil sie abreisen mussten. Zingel geht davon aus, dass sie die Ersten sein werden, die wieder zurückkehren dürfen, wahrscheinlich noch vor den Touristen.

Drei Gebete am Tag

Die Inselkirche steht unter denselben Einschränkungen wie alle anderen Gemeinden: Gottesdienste, Taufen und Hochzeiten dürfen nicht stattfinden, Beerdigungen nur unter freiem Himmel. Die Gemeinde beteiligt sich auch am Hoffnungsläuten der Nordkirche. Jeden Tag um 12 Uhr setzen sich die Glocken von St. Severin in Gang. Und damit nicht genug. Der Organist spielt ein Stück, und sie oder ihr Kollege Pastor Ingo Pohl sagen ein paar Sätze zum Tag. Über Facebook und Youtube strahlen sie die kurze Botschaft aus.

Zingel schätzt es, täglich innezuhalten und sich zu besinnen. 8-12-18 ist die neue Formel dafür. Denn zu diesen Zeiten wird in St. Severin gebetet – und wer will, kann sich anschließen. Das ist auch für die Gemeindemitglieder eine Ermutigung. Wer zu dieser Zeit betet, kann sicher sein: „Einer betet ganz bestimmt mit dir, und du bist dann nicht allein“, hat sie ihnen erklärt.

Pastorin Susanne Zingel
Pastorin Susanne ZingelClaudia Kleemann

Es gab schon immer eine Verbindung zu „Sylt 1“, dem TV-Kanal der Insel. Dort werden nun auch Gottesdienste ausgestrahlt, ebenso wie über das Internet. In einer leeren Kirche zu predigen, das fand Zingel anfangs sehr ungewohnt. Mittlerweile hat sie sich daran gewöhnt.

Wie es mit dem Gemeinde­leben weitergeht, ist noch offen. Bis Ende August hat die Bundesregierung Großveranstaltungen untersagt. Das beeinträchtigt auch ihre Planungen, denn eigentlich ist St. Severin zwar eine Dorfkirche, aber: „Alles, was in St. Severin stattfindet, gerät leicht zu einer großen Veranstaltung“, sagt die Pastorin.

Was nach der Kontaktsperre kommt

Sobald die Kontaktsperre gelockert wird, kann sie sich vorstellen, Angebote für kleinere Besuchergruppen zu organisieren. Vielleicht wird sie den Zutritt begrenzen und nur Sitzplätze anbieten, die weit genug voneinander entfernt sind. Schließlich soll durch den Besuch niemand gefährdet werden. „Wir sitzen schon mal Probe in der Kirche und gucken, wie weit die Abstände in den Bänken sein müssten“, sagt sie. Die Technik erlaubt es, den Ton aus dem Innenraum der Kirche nach draußen zu übertragen. Das könnte eine Möglichkeit sein, um zum Beispiel Konzerte zu übertragen.

Zingel hat festgestellt, dass sich die Stimmung auf der Insel verändert hat: Es sei nun eine besondere Herzlichkeit, Nachdenklichkeit und Dankbarkeit zu spüren. Das wünscht sie sich auch für die Zukunft. Dazu gehört zum Beispiel, dass man einander fragt, wie es geht. Oder dass man miteinander spricht, wenn man sich trifft – und sei es auch mit Abstand.

Im Gästebuch der stillen, aber geöffneten Kirche finden sich viele dankbare Worte. Immerhin eines gilt für die Menschen auf Sylt: „Wir erleben diese schlimme Zeit an einem schönen Ort“, sagt Pastorin Zingel.