Vorsicht, Glatteis!

Über die Pflichten eines Christenmenschen schreibt Matthias Jehsert. Er ist Pastor in Retzin in Mecklenburg-Vorpommern.

Der Predigttext des folgenden Sonntags lautet: „Durch Werke des Gesetzes wird kein Mensch gerecht.“ aus Galater 2, 16
„Was muss ich tun?“, fragt mich ein junger Mensch. Es geht ihm nicht um Weisheit oder eigene Lebensentscheidungen, sondern um den christlichen Glauben. Was muss ich tun, um als Christ erkennbar zu sein? Oder: Um meinen religiösen Pflichten als Christ nachzukommen? Und zwar, ohne dabei den Sinn des Evangeliums zu aufzugeben.
Vorsicht, Glatteis! Der an Paulus und Luther geschulte Protestant wittert Gefahren, wenn es um das Tun geht. Wie oft beten wir es herunter: Liebe ist bedingungslos; Christsein kennt keinen Verdienst? Und dennoch brennt die Frage: Was tun wir als Christen eigentlich?
Ja, wir orientieren uns an biblischen Maximen. Wir tauschen alte Hausgötter gegen Kruzifixe, Aufkleber und Heil-Steine. Wir gehen in Kirchen und halten uns zu einer Gemeinde. Wir nutzen religiöse Medien und kirchliche Events. Wir stiften und spenden, beten und fasten. Wir teilen christliche Einsicht und Hoffnung in unseren Familien und manchmal öffentlich. Häufig ehrenamtlern wir noch im Chor oder bei der Diakonie. Aber ein verbindendes Kennzeichen ist  schwer auszumachen. Selbst die Taufe ist oft weniger ein Stempel Gottes im Alltag als mehr ein Stempel in den Unterlagen.
Bleiben noch Fleiß und Ehrbarkeit in Stand und Beruf, wie Luther und die Aufklärung betonten. Nicht religiöse Werke, sondern eine nützliche gutnachbarschaftliche Lebensführung seien Ausweis einer christlichen Gesinnung. Da schwimmt das Kind schnell mit dem Bade, denn – oh Wunder – ohne Religion kommen alle viel besser miteinander aus: Anständig, tolerant und gesellschaftskonform verhält der Weltbürger sich, mit und ohne Konfession. Schon ersetzen menschengemachte Maximen und Ideen den Glauben.
Christsein entscheidet sich nicht am Tun, die Liebe Gottes schon gar nicht. Doch der Glaube verlockt zum Handeln, zur Orientierung am Nächsten. Starre Vorschriften braucht es dazu nicht, aber offene Ohren und Herzen.
Unser Autor
Matthias Jehsert
ist Pastor in Retzin in Mecklenburg-Vorpommern.
Zum Predigttext des folgenden Sonntags schreiben an dieser Stelle wechselnde Autoren. Einen neuen Text veröffentlichen wir jeden Mittwoch