Es geht um Menschen in der Steinzeit vor 42.000 Jahren: Lange nahm man an, dass technische Neuerungen durch die Einwanderung von Homo sapiens aus dem Nahen Osten in Europa eingeführt wurden. Nun gibt es Zweifel daran.
Beim Herstellen von Steinwerkzeugen sind Menschen vor rund 42.000 Jahren in Europa und im Nahen Osten nach neuen Erkenntnissen von Archäologen unterschiedlich vorgegangen. Die Technik zur Bearbeitung von Steinen in Europa sei durch eigene Innovationen entwickelt worden und “nicht durch einen Wissensimport von den aus dem Nahen Osten eingewanderten Menschen zu erklären”, teilte die Universität Tübingen am Mittwoch mit. Das habe eine vergleichende Analyse von Steinwerkzeugen aus Fundstätten in Italien und im Libanon ergeben.
Geleitet wurde die Studie von Armando Falcucci von der Abteilung für Ältere Urgeschichte der Universität Tübingen und von Steven Kuhn von der School of Anthropology der University of Arizona in Tucson (USA).
“Jahrzehntelang nahm man in der Forschung an, dass viele technologische Innovationen durch die Einwanderung früher moderner Menschen aus dem Nahen Osten in Europa eingeführt wurden”, betonten sie. Die rund 42.000 Jahre alte Kultur des “Protoaurignaciens” in Südeuropa werde daher allgemein als westliche Erweiterung der nahöstlichen “Ahmarian”-Kultur früher Homo-sapiens-Gruppen betrachtet.
Obwohl vielen Wissenschaftlern kulturelle Ähnlichkeiten zwischen den Steinwerkzeugen der Ahmarian- und der Protoaurignacien-Kultur aufgefallen seien, sei bisher kein systematischer Vergleich der archäologischen Belege vorgenommen worden. Diese Lücke sei nun geschlossen worden.
Für die “Ahmarian”-Kultur untersuchten die Forschenden demnach Tausende von Steinwerkzeugen aus der am dichtesten an Europa liegenden archäologischen Fundstätte Ksar Akil nahe Beirut im Libanon. Die bearbeiteten Steine des “Protoaurignaciens” für den Vergleich stammten aus drei Fundstätten im heutigen Italien.
“Oberflächlich betrachtet sahen die Steinwerkzeuge aus diesen verschiedenen Gebieten ähnlich aus. Aber wir wollten genauer wissen, wie sie hergestellt wurden”, sagte Kuhn. “Beim Vergleich der Fundsammlungen konzentrierten wir uns vor allem auf die Steineinsätze zusammengesetzter Werkzeuge. Wir rekonstruierten ganz genau, wie die Feuersteinknollen geformt wurden, um gerade Klingen mit scharfen Kanten abzuschlagen”, erklärt Falcucci. Die Analyse habe auffällige Unterschiede ergeben in der Art, wie die Werkzeugmacher vorgingen.
“Insgesamt betrachtet passen die Techniken der Ahmarian- und Post-Ahmarian-Kultur im Nahen Osten nicht mit denjenigen des Protoaurignaciens in Italien zusammen”, hieß es. Die bisherige Annahme, dass die steinzeitlichen technologischen Innovationen in Europa durch Einwanderungswellen aus dem Nahen Osten eingeführt wurden, müsse deshalb “neu bewertet werden”, so Kuhn. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift “Journal of Human Evolution” veröffentlicht.