Von der Schultüte bis zum Staubsauger

Nach vierjähriger Bauzeit hat das Freilichtmuseum Molfsee bei Kiel das „Jahr100Haus“ in Betrieb genommen. Im Zentrum steht die Alltagskultur der Schleswig-Holsteiner.

So sieht das neue "Jahr100Haus" aus
So sieht das neue "Jahr100Haus" ausStiftung SH-Landesmuseen

Kiel/Molfsee. Schon zur Eröffnung ist das „Jahr100Haus“ der Star im Freilichtmuseum Molfsee bei Kiel. Die beiden 14 Meter hohen Häuser, die durch einen Lichthof miteinander verbunden sind, ähneln im Stil den historischen Bauernhäusern auf dem Gelände. Wie zwei große Scheunen postieren sie sich am Eingang des Museums. Allerdings bestehen sie nicht aus Reet, Backstein und Holz, sondern aus Cortenstahl, Beton und Glas.

„Mit diesem Neubau ist ein Traum wahr geworden. Hier können wir nun Ausstellungen von internationalem Standard ganzjährig etablieren“, sagt Claus von Carnap-Bornheim von den Schleswig-Holsteinischen Landesmuseen. Jetzt ist der 13 Millionen Euro teure Neubau nach vierjähriger Bauzeit offen für Besucher. Kern ist eine Dauerausstellung über Alltagskultur im Norden.

Mit Postsack durchs Watt

Das Herz des „Jahr100Hauses“ liegt im Untergeschoss. Eine Treppe führt aus dem großzügigen Empfangsbereich am Lichthof vorbei in einen dunklen Raum. Neun Bildschirme sind an drei Wänden aufgehängt. Schließlich flimmern neun Porträts von echten Schleswig-Holsteinern über die Monitore. Eine Schlüsselrolle spielt die Kieler Poetry Slammerin Mona Harry mit ihrer bekannten Liebeserklärung an den Norden: „Ich mag dieses herbe, das graue, das salzige raue, das Wasser, den Nebel, den prasselnden Regen.“ Und schon blitzt es auf den Bildschirmen, kurz danach folgen Schafherden, Fischer beim Fang und ein Mann, der mit einem Postsack barfuß durchs Watt wandert – die nächste Hallig fest im Blick.

Blick in den Bereich "Arbeit und Freizeit"
Blick in den Bereich "Arbeit und Freizeit"Kinka Tadsen / Stiftung SH-Landesmuseen

Nach dem Einführungsfilm beginnt die Dauerausstellung mit 350 Objekten, die sich um den Alltag der Schleswig-Holsteiner dreht. Sie soll an die bestehende Ausstellung auf der Freifläche anschließen. Während die rund 60 wieder aufgebauten, historischen Gebäude von der Alltagskultur in Schleswig-Holstein vom 16. bis ins frühe 20. Jahrhundert erzählen, behandelt die neue Dauerausstellung auf 920 Quadratmetern Themen des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart. „Die Wahl aus 80.000 Objekten ist uns nicht leicht gefallen“, sagt die Leiterin des Kuratoren-Teams, Babette Tewes.

Die Ausstellung ist in die sechs Themen „Rhythmus“, „Mobilität“ sowie „Arbeit“, „Konsum“, „Kommunikation“ und „Sicherheit“ gegliedert. „Wir möchten mit den Exponaten Geschichten über Schleswig-Holstein erzählen, aber auch Erinnerungen in den Menschen wachrufen“, so Tewes. Im „Rhythmus-Raum“ finden sich etwa eine Schultüte, ein alter Staubsauger und ein Weihnachtsbaum. Sie sind frei auf Sockeln und nicht unter Glas ausgestellt. Statt langer akademischer Beschreibungen erklären kurze, alltagssprachliche Texte die Exponate.

Mädchen auf der Flucht

Ein Schlitten mit Rädern erzählt die Fluchtgeschichte von einem 22 Jahre alten Mädchen aus Westpreußen am Ende des Zweiten Weltkriegs. Als sie in Berlin ankam, lag kein Schnee mehr. Ein Berliner schraubte ihr Räder an den Schlitten, damit sie ihn weiterziehen konnte bis nach Kiel. Ein alter Kinderwagen ist im Raum „Mobilität“ ebenso zu finden wie eine gelb-grüne Tanksäule aus den 1960er-Jahren, die damals flächendeckend in Schleswig-Holstein zu finden war.

In großen Vitrinen werden auch dunkle Seiten der Schleswig-Holsteinischen Geschichte beleuchtet. So hängt dort etwa die Pistole, mit der Marianne Bachmeier am 6. März 1981 im Lübecker Landgericht den Mörder ihrer Tochter erschoss. Auch eine englische Fliegerbombe, die 1971 in einem Garten in Itzehoe gefunden wurde, ist ausgestellt.

Ein „Konsumregal“ zeigt Gegenstände, die früher und heute in Schleswig-Holstein Furore machten. Ein Muff aus Möwenfedern etwa, der früher als Luxusgut galt. Und Figuren aus den „Happy Meals“ von „McDonalds“, die noch heute bei Kindern beliebt sind – und am Ende doch schnell im Müll landen. (epd)