Von der Pastorin zur Zen-Meisterin

Gundula Meyer war schon einige Jahre Pastorin, als sie eine weitere Berufung verspürte. Sie verkaufte alles, ging nach Japan und verbrachte Jahre in einem Zen- Zentrum für Laien, um zu meditieren. Dort erfüllte sich ihr Wunsch: Sie erfuhr, was es um Gott ist.

Gundula Meyer sitzt vor ihrem Grabstein. Er trägt nur ihren Vornamen und darüber den Zen-Kreis.
Gundula Meyer sitzt vor ihrem Grabstein. Er trägt nur ihren Vornamen und darüber den Zen-Kreis.epd/Sven Krszio

Meinersen/Ohof. Gundula Meyer hat es sich in einem Gartenstuhl bequem gemacht. Sie blickt in die Ferne als sie von ihrem langen Weg zur Zen-Meisterin erzählt. „Winde mögen wehen, die rau sind – aber die Weide“, hebt sie mehrfach an, als es um ihre Zen-Erfahrung geht. Es geht um eins der rätselhaften Wörter, die Zen-Schüler erst nach vielen Übungen verstehen lernen. Das sei wie mit dem Zucker, erzählt die 84-Jährige schmunzelnd. Dessen Geschmack könne man nicht beschreiben – man müsse ihn schmecken.

Für die Suchende war es ein langer Weg

Ihr Vater sei Pastor in Lübeck gewesen, Mitglied der Bekennenden Kirche, erzählt sie. „Meine ganze Kindheit war kirchlich geprägt. Ich wollte so sein wie er.“ Also studierte sie Thelogie, wurde 1966 zur Pastorin ordiniert, arbeitete in Manchester und Lübeck. „Ich war leidenschaftlich gern Pastorin“, sagt Meyer rückblickend.Eines Tages änderte sich alles.

Sie beobachtete zwei Jungen, die Passanten-Abschießen spielten. Als die Pastorin in deren Visier geriet, hieß es: „Die nicht, die redet mit dem Gott.“ Diesen Satz habe sie zuerst witzig gefunden, dann sei sie erschrocken. „Denn ich merkte, dass ich bisher immer nur Gebete abgelesen hatte, aber noch nie mit Gott geredet hatte.“ Gundula Meyer machte sich auf eine lange Reise: „Ich wollte wissen, was es um Gott ist.“

Was hält die Welt im Inneren zusammen?

Also knüpfte sie Kontakte zu kontemplativen Gemeinschaften, las Bücher über Meditation und Zen-Buddhismus, die Kunst des Sich-Versenkens, und war ergriffen. „Ich wollte entdecken, was die Welt im Innersten zusammenhält. Ich war überzeugt, dass man die eine Wirklichkeit nicht mit dem Kopf studieren­ kann, sondern selbst erfahren muss.“

Meyer ließ sich für mehrere Jahre beurlauben, packte einen Koffer und zog nach Japan. „Ich hatte schließlich keine Familie und war frei.“ Sie wurde Schülerin in einem Zen-Zentrum für Laien. Tagsüber unterrichtete sie am Goethe-Institut in Tokio, um Geld zu verdienen, abends meditierte sie. „‚Sorget nicht!‘ Das Wort Jesu hat sich bei mir bewahrheitet“, sagt sie.

Abend für Abend übte sie das Sitzen, neben dem „Koan“ – wie jenem rätselhaften Vers von der Weide – eine der Grundübungen im Zen-Buddhismus. „Es geht darum, in Präsenz zu sein und sich nicht von Gedanken forttragen zu lassen“, sagt Gundula Meyer. „Es geht um das Hier und Jetzt.“ Sechs Jahre blieb sie in Japan, sie übte und übte unermüdlich.

„Zen und die Jesus-Worte haben viel gemeinsam“

Doch eines Tages war es so weit: „Mein Lehrer gestand mir zu, dass ich genug Erfahrung hatte und unterrichten konnte.“ Meyer hatte erfahren, wie Zucker schmeckt. Als Zen-Lehrerin kehrte sie nach Deutschland zurück. Denn sie wollte ihre Erfahrung an Menschen des Westens, möglichst auch an Pastoren weitergeben.

Sie arbeitete zunächst im Kloster Wülfinghausen, dann wechselte sie nach Ohof, wo eine Zen-Schülerin ihr ein Haus zur Verfügung stellte – mittlerweile ein bekanntes Zen-Zentrum, in dem rund 100 Zen-Schüler regelmäßig zusammenkommen, um zu „sitzen“ und ihre Lehrerin um Rat zu fragen.

Bis vor Kurzem hat Gundula Meyer auch Kontemplation in Ratzeburg gelehrt, vor allem im Verein „Oase der Stille“. „Zen und die Jesus-Worte haben viel gemeinsam“, sagt sie. Was Gundula Meyer jedoch meint, wenn sie von der „Weide“ spricht, die sich im Sturm wiegt, aber nicht bricht, das führt sie nicht weiter aus. „Diese Erfahrung muss jeder selbst machen“, sagt sie und lächelt.