Verrat aus Leidenschaft

Über die faszinierenden Motive des Judas schreibt Tilman Baier. Er ist Chefredakteur der Evangelischen Zeitung und der Kirchenzeitung MV.

Jesus mit einem Teil der Apostel, Flügelaltar der Dorfkirche von Wyhra (Sachsen)
Jesus mit einem Teil der Apostel, Flügelaltar der Dorfkirche von Wyhra (Sachsen)Rainer Oettel / epd

Der Predigttext des kommenden Sonntags lautet: „Wahrlich, wahrlich, ich sage­ euch: Einer unter euch wird mich verraten.“ aus dem Johannesevangelium 13, 21-30

Es ist ein großes Panoramagemälde, das der Evangelist Johannes im Predigttext für diesen ersten Sonntag in der Passionszeit vor uns entrollt: Jesus und seine engsten Anhänger sitzen nach dem gemeinsamen Abendmahl noch beieinander. Für den Meister, der schon um seinen schweren Weg in den nächsten Stunden weiß, ist es ein schmerzvoller Abschied von seinen liebsten Gefährten. Besonders schmerzlich ist, dass einer von ihnen Jesus an seine Widersacher verraten wird, Judas Iskariot, zuständig für die Finanzen der Gruppe.

Was mich an diesem Judas so fasziniert, ist seine Motivation für den Verrat. Beschrieben wird er in den Evangelien als derjenige unter den Gefährten Jesu, der sich vehement für die Armen und Unterdrückten einsetzt. Viele Exegeten deuten seinen Beinamen Iskariot als Beleg dafür, dass er zu einer Gruppe von militanten Gegnern der römischen Besatzer und ihrer Helfershelfer gehörte, den Sikariern, die mit Dolchen Attentate verübten. Er ist von Jesus enttäuscht, dass dieser nach seinem Einzug in Jerusalem als gefeierter Messias keine Anstalten macht, die verhasste Fremdherrschaft zu beenden. Und so setzt er alles auf eine Karte: Wenn, so sein Kalkül, er die Tempelwächter auf Jesus hetzt, dann wird dieser endlich handeln, handeln müssen. Dann wird sich zeigen, dass er wirklich der Messias ist und Gottes Reich auf Erden endlich errichten.

Plan geht nicht auf

Doch seine Rechnung hat Judas ohne Jesus gemacht, sie geht nicht auf: Jesus verbietet seinen Jüngern, zu den Waffen zu greifen, und lässt sich widerstandslos gefangen nehmen. Das Böse in der Welt lässt sich eben nicht mit Waffengewalt besiegen. Ebenso wenig, wie sich ein erträumtes Reich der Gerechtigkeit und des Friedens mit Waffengewalt herbeizwingen lässt. Judas ist für mich das tragische Beispiel für die Revolutionäre, die das Heil herbeikämpfen wollen. Und doch hat sein Verrat, und das ist für mich das Verstörendste an dieser Geschichte, einen wichtigen Platz in Gottes großem Plan.

Unser Autor
Pastor Tilman Baier ist Chefredakteur der Evangelischen Zeitung und der Kirchenzeitung MV.

Zum Predigttext des folgenden Sonntags schreiben an dieser Stelle wechselnde Autoren. Einen neuen Text veröffentlichen wir jeden Dienstag.