Unterwegs in Europa

Sie haben die Stille eines Klosters genossen und etwas über die Anfänge der evangelischen Kirchen im 17. Jahrhundert im katholischen Schlesien gelernt: Soldaten auf einer Rüstzeit im Dreiländereck.

Die Gruppe bei einer Wanderung im böhmischen Hejinice, zu deutsch Haindorf
Die Gruppe bei einer Wanderung im böhmischen Hejinice, zu deutsch HaindorfFrank Leßmann-Pfeifer

Hejnice/Jawor/Kreisau. Die tschechische Hauptstadt Prag gehört in der Militärseelsorge zu den beliebtesten Zielen von Rüstzeiten. Kein Wunder, bietet die „Goldene Stadt“ doch Kultur und Sehenswürdigkeiten im Übermaß. Aber Nordböhmen? Vielleicht denkt man da noch ans Riesengebirge mit der Schneekoppe. Aber die Region im Grenzgebiet zu Deutschland und Polen ist den meisten doch eher unbekannt. Dabei gibt es gerade dort ganz viel zu entdecken.

Mit Soldaten einer Staffel des Marinefliegergeschwaders 5 aus Nordholz haben wir uns Anfang Juli für eine Woche auf den Weg gemacht. Erste Station war ein ehemaliges Kloster in Hejnice, zu deutsch Haindorf, im alten Sudetenland. Heute ist es eine tschechisch-deutsche Begegnungsstätte. Sie wird vor allem von denen besucht, die nach 1945 als „Sudeten“ aus dieser Gegend vertrieben wurden – oder ihren Kindern und Enkeln.

Geschichte und Gegenwart im Grenzgebiet

Die Atmosphäre des Klosters haben wir sehr genossen – die Stille, die tschechische Küche, die „pohoda“ – was sich am ehesten mit „Gemütlichkeit“ übersetzen lässt. In intensiven Gesprächen mit dem Leiter der Einrichtung, Jan Heinzl, erfuhren wir viel über Geschichte und Gegenwart im Grenzgebiet, auch über Leid und Schuld in den Jahren der deutschen Besetzung und der Vertreibung nach 1945.

Zum Programm gehörten zudem ein Besuch der Regionalhauptstadt Liberec, zu deutsch Reichenberg, eine Fahrt mit der Seilbahn auf den Berg Jeschken sowie ein Vormittag beim tschechischen Zoll. Und natürlich durfte auch ein Brauereibesuch nicht fehlen.

Es ist eine besondere Gegend, die schon seit vielen Jahrhunderten vom Miteinander deutschsprachiger und tschechischsprachiger Bevölkerungsgruppen und einem ständigen Wechsel der Konfessionen geprägt war. Über lange Zeit spielte das kaum eine Rolle und wurde erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einem explosiven Konfliktherd.

Strenge Auflagen

Nach drei Tagen ging es weiter zur zweiten Station unserer Rüstzeit, an den Hängen des Riesengebirges entlang ins polnische Niederschlesien. Dort besuchten wir zunächst die evangelische Friedenskirche in Jawor, zu deutsch Jauer. Sie ist eine von ursprünglich drei Kirchen, die die Evangelischen im damals katholischen Schlesien nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges 1648 errichten durften.

Der Bau war mit strengen Auflagen verbunden: So durften weder Ziegel noch Steine als Bau­material verwendet werden, das Gebäude musste einen Kanonenschuss von der Stadtmauer entfernt errichtet werden, und die Bauzeit durfte nicht länger als ein Jahr betragen. Herausgekommen ist ein höchst beeindruckendes Kirchengebäude, das heute zum Unesco-Weltkulturerbe zählt.

Unser eigentliches Ziel war jedoch Kreisau, der frühere Herrensitz der Grafen von Moltke und die Keimzelle der Widerstandsgruppe des „Kreisauer Kreises“, seit den 1990er-Jahren eine polnisch-deutsche Jugendbegegnungsstätte. Eine der Freiwilligen von „Aktion Sühnezeichen Friedensdienste“ führte uns über das Gelände, und wir erfuhren viel über den besonderen Charakter der Kreisauer Widerstandsgruppe um Helmuth James und Freya von Moltke.

Gutes Miteinander

Nebenbei war es für die Soldaten interessant zu hören, dass im 19. Jahrhundert der erste Besitzer des Gutes, Generalfeldmarschall von Moltke, einer der Erfinder des „Führens mit Auftrag“ gewesen ist. Der letzte Tag der Rüstzeit gehörte dann ganz dem Besuch der alten Stadt Wroclaw/Breslau. Am Schluss waren sich alle einig: Die gemeinsame Reise hat sich sehr gelohnt. Zusammen leben im vereinten Europa – vielleicht kann man das mit all seinen Chancen und Schwierigkeiten in kaum einer Region besser erleben als hier in diesem alten kulturell und historisch so reichen Drei­ländereck.

Den Boden für das gegenwärtig gute Miteinander haben nicht zuletzt die Widerstandskämpfer gelegt, deren Leben, Denken und Glauben uns in den täglichen Morgenandachten in Böhmen und Schlesien beschäftigt hat.

Unser Autor
Frank Leßmann-Pfeifer ist Militärpfarrer in Nordholz.