„Unter Euch ist es anders!“

Über das Anderssein in Gemeinden und auch in Redaktionen schreibt Pastor Tilman Baier. Er ist Chefredakteur der Kirchenzeitung in Schwerin.

Der Predigttext des folgenden Sonntags lautet: „Über alles aber zieht an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit.“ aus dem Kolosserbrief 3, 12 – 17
 „Unter Euch ist es anders – Ihr geht miteinander anders um, als ich das sonst kenne.“ Dieses Lob kam von einer jungen Frau und galt den paar haupt- und vielen ehrenamtlichen Mitgestaltern der Mecklenburgischen Kirchenzeitung, die sich zu ihrer Jahrestagung getroffen hatten. Nein, mit Kirche hatte sie vorher nichts zu tun gehabt. Und in ihrem Lob schwang unausgesprochen die Frage mit: „Woran liegt es, dass es unter Euch anders ist?“
Das war zu tiefsten DDR-Zeiten, Anfang der 80er-Jahre. Aber diese Frau und ihre erstaunte Feststellung fielen mir wieder ein, als ich den Predigttext für diesen Sonntag aus dem Brief an die Kolosser las. Denn dieses damalige Lob fordert uns auch heute heraus: Ist es unter uns in der Kirche, in unseren Gemeinden wirklich so anders, dass Menschen, die von außen kommen, merken: Hier herrscht ein anderer Geist als in der „Welt“, Gottes Geist? „Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen: Lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit“, empfiehlt der Briefschreiber.
Was heißt das für uns Blattmacher der Kirchenzeitungen, die fast alle in diesen Monaten ihr 70-jähriges Jubiläum nach den Verboten in der NS-Zeit feiern können? Da klingen die Verse wie ein Redaktionsstatut, das sicherstellen soll, dass diese Zeitungen nicht einfach ein Abklatsch der säkularen Presse sind: „Herzliches Erbarmen“ auch bei der Berichterstattung über Misstände, „Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld“. Letztlich aber sind die Ermunterungen des Kolosserbriefes ganz allgemeine Verhaltensregeln für unser Miteinander in den Familien, den Gemeinden, ja, auch in der Institution Kirche mit ihrer Verwaltung und ihren Leitungsgremien.
Weil aber auch unter uns Christen unsere allzumenschliche Unzulänglichkeit hineingrätscht in all die Bemühungen um ein gedeihliches Miteinander, gibt uns der Autor des Kolosserbriefes noch mit: „Ertrage einer den andern und vergebt euch untereinander, wenn jemand Klage hat gegen den andern; wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr!“
Unser Autor
Pastor Tilman Baier
ist Chefredakteur der Kirchenzeitung in Schwerin.