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Unicef: Mehr als 680.000 Kinder in Haiti auf der Flucht

Über die Gewaltspirale und die katastrophale Lage in Haiti spricht kaum noch jemand. Dabei müssen immer mehr Menschen aus Angst vor Gewalt ihre Häuser und Wohnungen verlassen, heißt es in einem neuen Bericht.

Von den Folgen der politischen Krise und zunehmender Gewalt in Haiti sind Kinder im besonderen Maße betroffen. Mehr als 680.000 Mädchen und Jungen sind auf der Flucht, heißt es in einem am Donnerstag veröffentlichten Bericht des Kinderhilfswerks Unicef. Damit habe sich die Zahl innerhalb eines Jahres mehr als verdoppelt. Insgesamt haben mehr als 1,3 Millionen Menschen ihre Häuser und Wohnungen verlassen.

“Kinder in Haiti erleben Gewalt und Vertreibung in einem entsetzlichen Ausmaß”, sagte Unicef-Direktorin Catherine Russell. Viele seien bereits mehrfach vor Gewalt geflohen. “Jedes Mal, wenn sie zur Flucht gezwungen werden, verlieren sie nicht nur ihr Zuhause, sondern auch die Möglichkeit, zur Schule zu gehen und einfach nur Kind zu sein”, so Russell.

Laut Unicef gibt es in Haiti mittlerweile 246 Camps für Binnenflüchtlinge. In gut jeder dritten Unterkunft fehle es aber an grundlegender Infrastruktur zum Schutz von Familien. Das erhöhe, so Unicef, insbesondere für Kinder und Frauen das Risiko von Gewalt, Ausbeutung und Missbrauch. Ein weiteres Problem: “Schulen dienen oft gleichzeitig als Notunterkünfte, was die Bildung von fast einer halben Million Schulkindern beeinträchtigt.”

Mehr als 3,3 Millionen Kinder in Haiti benötigen nach Unicef-Einschätzung humanitäre Hilfe; mehr als eine Million Kinder litten unter kritischer Ernährungsunsicherheit. Berechnungen zufolge werden 290.000 Kinder unter fünf Jahren in diesem Jahr voraussichtlich an akuter Mangelernährung leiden.

Ein Ende ist nicht in Sicht. Haiti steckt seit Jahren in einer schweren innenpolitischen Krise. Nach dem Mord an Staatspräsident Jovenel Moïse 2021 bauten kriminelle Banden ihre Macht aus und terrorisieren seitdem die Bevölkerung. Mittlerweile sollen bewaffnete Gruppen mehr als 85 Prozent der Hauptstadt Port-au-Prince sowie wichtige Straßen kontrollieren. Die Folgen: Menschen haben immer weniger Zugang zu Nahrungsmitteln und Gesundheitsversorgung.

Haiti gilt ohnehin als ärmstes Land der westlichen Hemisphäre. Es wurde in den vergangenen Jahren überdies von Naturkatastrophen wie Erdbeben und Wirbelstürmen erschüttert.