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Ullrich Fichtner zur Kraft der Musik – Unterschätzte Supermacht

Musik berührt, heilt und verbindet. Sie stärkt das Gehirn, schafft Gemeinschaft und macht widerstandsfähiger. Der Journalist Ullrich Fichtner erklärt, warum die Macht der Musik weit über Unterhaltung hinausgeht.

Musik ist überall. Sie erklingt in Fahrstühlen und Stadien, begleitet im Auto, im Fitnessstudio oder beim Einschlafen. Und doch wird sie häufig als bloße Unterhaltung oder als angenehmes Beiwerk unterschätzt. Dabei ist Musik weit mehr: Sie ist, wie der Publizist Ullrich Fichtner schreibt, “ein unerschöpflicher Rohstoff, der mit jedem Menschen neu in die Welt kommt”. In seinem soeben veröffentlichten Buch “Die Macht der Musik” erklärt er, dass Musik gesund, sozial und menschlich macht. Und er geht einen Schritt weiter: Nach seiner Meinung kann sie tatsächlich die Welt ein Stück besser machen.

Dass Musik heilsam wirkt, ist für Fichtner klar belegt. Er verweist auf eine große Übersichtsstudie der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die 2019 über 3.000 Einzelstudien auswertete. Das Ergebnis: Musik kann Schmerzen lindern, Stresshormone senken, Angstzustände reduzieren und bei vielen Erkrankungen auch Genesungsprozesse beschleunigen.

Chirurgen operieren nach diesen Studien entspannter, Patienten benötigen weniger Schmerzmittel, Intensivpatienten stabilisieren sich schneller. Musik beruhige Körper und Geist, sie wirke wie Medizin – nur ganz ohne Nebenwirkungen, schreibt der Autor. Für ihn ist die WHO-Studie die größte Sammlung an Belegen dafür, “wie Kunst dem Menschen nicht nur Freude bringt, sondern auch in allen möglichen Problemlagen helfen kann. Wie Musik heilt und Gebrechen lindert.”

Doch Musik kann noch mehr, stellt der Autor fest. Unter Verweis auf Fachleute und Studien betont er, wie sehr Musik das menschliche Gehirn, die Resilienz und die psychische Gesundheit stärken kann. Sie helfe bei Schlafstörungen, bei Psychosen oder lindere sogar das posttraumatische Stresssyndrom. Er fragt sich, warum es bei allen nachgewiesenen positiven Effekten nicht einen Staatssekretär für Musik in den Gesundheitsministerien der Welt gebe.

Fichtner testet die Erkenntnisse auch an der Realität: in Klassenzimmern, Konzertsälen oder sogar in Gefängnissen. In Bremen zum Beispiel gehen die Philharmoniker mit einer Musikwerkstatt in Schulen, bringen Kindern Instrumente nahe, lassen sie hören und ausprobieren. Fichtner war dabei.

Wie sinnvoll es ist, Kinder mit Musik in Kontakt zu bringen, bewiesen immer mehr neuere Studien, erklärt der Autor. “Gerade Kinder mit Lernschwächen, egal, in welchen Fächern, profitieren von Musikunterricht besonders stark”, hat er herausgefunden und fügt hinzu: “Und kein Fach wäre besser dafür geeignet, die Integration von Flüchtlingskindern oder Jungen und Mädchen aus neu zugezogenen Familien aus aller Welt zu verbessern.”

Ebenso entfaltet Musik im Strafvollzug ihre Wirkung: In Projekten, in denen Häftlinge Musik- und Theaterkurse belegen, ist die Rückfallquote laut WHO auf null gesunken. Musik ist für Fichtner daher eine potenzielle Supermacht der Prävention – deren Dienste allerdings kaum in Anspruch genommen werden. Es macht ihn schier fassungslos, dass die vielen Studien über die positiven Auswirkungen der Musik auf die Menschen nicht angemessen wahrgenommen würden.

“Die unerschöpflichen Potenziale der Musik, der unfassbare Mehrwert, den sie immerfort schafft, werden auf eine verblüffende Weise unterschätzt”, schreibt Fichtner. Er hält es für verantwortungslos – gerade in Krisenzeiten, wenn das Geld knapp ist -, die Posten für den Kultur- und Musikbereich zusammenzustreichen. “Kultur ist kein Zweitvertreib wohlhabender Gesellschaften, sondern gehört zu den Grundlagen dafür, dass Wohlstand überhaupt entstehen kann.”

Christopher Bailey, bei der WHO zuständig für den Bereich Kunst und Gesundheit, sagte dem Autor, Kunst, Theater und Musik gehörten mit zur Gesundheit. Wer keine Kunst und keine Musik im Leben habe, so Bailey, könne nicht gesund sein. Am Ende, schreibt Fichtner, sei Musik nicht nur ein Mittel, um das Leben leichter zu machen. “Sie gibt ihm Sinn, Struktur und Schönheit.” Und nicht zu vergessen: Gesundheit.