Die Botschaft des Ministers ist eindeutig: „Ohne Eingriffe“, sagt Marian Jurecka, „wird das System der langfristigen Pflege bald kollabieren.“ Das Prager Ministerium für Arbeit und Soziales will eine Reform der Altenpflege angehen, in deren Mittelpunkt eine Stärkung der ambulanten Pflegedienste sowie ein festes Gehalt für pflegende Angehörige stehen. Eine Datenbank soll zudem helfen, den künftigen Bedarf je nach Region präzise vorherzusagen.
In Tschechien ist Altenpflege bislang vorwiegend eine Sache stationärer Einrichtungen; ambulante Altenpflege ist weit weniger verbreitet als etwa in Deutschland – eine Nachwirkung des Sozialismus, als staatliche Institutionen weite Teile der Daseinsfürsorge übernahmen, so mutmaßen Experten.
Schon heute gibt es allerdings teils jahrelange Wartelisten für Plätze in Pflegeheimen, außerdem sind die Kosten des Systems regelrecht explodiert. Von 2013 bis 2023 sind sie nach Daten des Ministeriums um das Zweieinhalbfache gestiegen. Die Tendenz dürfte auch in Zukunft stark steigen: Innerhalb der kommenden zehn Jahre wird die Gruppe der Über-80-Jährigen, die den größten Pflegebedarf aufweist, um rund 60 Prozent auf dann 820.000 Personen anwachsen, prognostiziert das Ministerium – in Tschechien mit seinen gerade einmal 10,5 Millionen Einwohnern ist das ein großer Anteil.
Die Finanzierung der Altenpflege fußt in Tschechien fast komplett auf dem öffentlichen Haushalt. Lediglich 5,4 Prozent der Gesamtkosten werden von den Krankenkassen übernommen, der Eigenanteil von Patienten beläuft sich auf 13 Prozent des Gesamtbudgets. Den Großteil teilen sich das Sozialministerium und verschiedene regionale sowie lokale Behörden. Eine verpflichtende Pflegeversicherung gibt es in Tschechien nicht. Selbst freiwillig abgeschlossene Policen lassen sich erst seit diesem Jahr steuerlich geltend machen. Die Einführung einer entsprechenden Pflichtversicherung ist derzeit in Tschechien nicht geplant.
„Für die Zukunft erwägen wir auch eine Unterstützung für pflegende Angehörige. So ähnlich, wie es heute etwa bei Pflegefamilien der Fall ist“, sagt Petra Zdrazilova, die Direktorin für Familienpolitik und soziale Dienste im Ministerium, in einem Bericht der tschechischen Tageszeitung „Hospodarske Noviny“. Pflegeeltern bekommen derzeit für die Pflege eines gesunden Kindes monatlich umgerechnet 800 Euro, bei behinderten Kindern teils deutlich mehr als das Doppelte. Ein ähnliches Vergütungs-System schwebt dem Ministerium offenbar für die Pflege von Senioren vor, die zur Familie gehören.
So sollen pflegende Angehörige bei der Doppelbelastung aus Beruf und Pflege entlastet werden; die Entscheidung für die Pflege in Eigenregie soll nicht von der Angst vor finanziellen Einbußen abhängig gemacht werden. Die angedachte Höhe der Vergütungen aber wollte das Ministerium auf Nachfrage der tschechischen Zeitung nicht kommentieren.
Nach Informationen der tschechischen Assoziation von Sozialdienstleistern – dem Dachverband von Pflege-Organisationen – kümmern sich derzeit etwa 1,5 Millionen Tschechen um Angehörige. In diese Statistik der sogenannten „informellen Pflege“ fallen allerdings auch Kleinkinder. Für alte und behinderte Menschen gibt es dem Verband zufolge lediglich Schätzungen, die sich auf 400.000 bis 800.000 belaufen.
Viele von ihnen wünschen sich offenbar eine andere Pflege. Rund 90.000 Anträge auf einen Platz im Pflegeheim müssen jedes Jahr aus Kapazitätsgründen abgelehnt werden, heißt es beim Ministerium. 61.000 Plätze in Pflegeheimen gibt es derzeit, die Zahl müsste rapide wachsen, um den künftigen Bedarf aufzufangen.
Gerade wurde in Tschechien gewählt, und es zeichnet sich ab, dass die amtierende Mitte-Rechts-Koalition durch eine populistische Regierung abgelöst werden könnte. Im Programm der Partei ANO des Wahlsiegers Andrej Babis sind zur Pflege änliche Überlegungen zu finden: Altenheim-Plätze sollen ausgebaut werden, heißt es darin – zugleich aber wird auch eine Unterstützung für solche Leistungen versprochen, die Pflegebedürftigen den Verbleib in den eigenen vier Wänden ermöglichen. Der Plan des Ministeriums dürfte also weiterhin aktuell bleiben.