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Tropenmediziner: Neue Pandemie kann jederzeit kommen

Nach der Pandemie ist vor der Pandemie? Der Leiter des Bernhard-Nocht-Instituts, das am 1. Oktober 125 Jahre alt wird, erklärt, was Infektionskrankheiten begünstigt – und was Corona mit Wissenschaftsskepsis zu tun hat.

Das Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin ist Deutschlands größte Einrichtung für Forschung, Versorgung und Lehre auf dem Gebiet tropentypischer und neu auftretender Infektionskrankheiten. Es wird am Mittwoch 125 Jahre alt. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) sprach mit dem Leiter Jürgen May über Pandemien, Klimawandel und Mückenstiche – und warum zu viel Datenschutz für die Forschung ein Hindernis sein kann.

Frage: Herr May, was haben wir in Deutschland mit Tropenkrankheiten zu tun – warum geht uns das etwas an?

Antwort: Auf den ersten Blick scheinen diese Tropenkrankheiten – Malaria, Dengue-Fieber, Chikungunya und andere – Erkrankungen zu sein, die nur ferne Länder betreffen. Aber es gibt eine ganze Reihe von Gründen, warum es ein Institut für Tropenmedizin auch bei uns geben sollte. Einmal ist da natürlich der humanitäre Aspekt: Wir sollten nicht nur gucken, was bei uns passiert, sondern weltweit und dort auch Hilfestellung leisten, wenn das möglich ist. Zumal wir an der Situation in diesen Ländern – soweit es sich um ehemalige deutsche Kolonien handelt – auch in der Vergangenheit mitbeteiligt waren. Aber mindestens genauso wichtig ist die medizinische Verantwortung.

Frage: Was heißt das?

Antwort: Wir sind in Deutschland wichtiger Akteur für die globale Gesundheit. Das betrifft eben auch Forschung, Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen. Dies alles hilft, um Epidemien einzudämmen, bevor sie sich weltweit ausbreiten, also Pandemien werden. Wir haben es ja zur Zeit mit einer sich verändernden Welt zu tun – durch den Klimawandel etwa: Dadurch steigen auch in Deutschland die Temperaturen. Und die Chance, dass sich Mücken ausbreiten, die wiederum Viren übertragen können, wird größer.

Frage: Welche Krankheitsgefahr geht in Deutschland von einheimischen und eingewanderten Stechmücken aus?

Antwort: Die Gefahr, dass sich hierzulande Stechmücken ausbreiten, die Viren von exotischen Krankheiten übertragen können, steigt durch den Klimawandel. Das ist bei Tigermücken der Fall, die Dengue- oder Chikungunya-Viren übertragen können. Klimaveränderungen können auch die Übertragung von Viren durch Moskitos ermöglichen, die es bei uns schon gibt. Mit dem West-Nil-Virus existiert zum Beispiel jetzt im Osten Deutschlands eine Infektionskrankheit, die es dort vor 2018 noch nicht gegeben hat.

Frage: Wie ist Ihre Bilanz fünf Jahre nach der Corona-Pandemie?

Antwort: Ich glaube, wir waren nicht besonders gut auf die Pandemie vorbereitet, sind aber einigermaßen gut davongekommen. Wir haben insofern “Glück” gehabt, dass es vor allen Dingen ein Problem einer bestimmten Gruppe von Menschen war, und zwar der Älteren. Das war zwar tragisch, aber wenn es mehr die jüngeren Altersgruppen betroffen hätte, dann wäre auch – gerade weltweit – die Bilanz viel fataler gewesen. Das kann bei der nächsten Pandemie anders sein. Und dann würde man auch die Frage nach Schulschließungen ganz anders bewerten müssen.

Auch weil es eben eher die Älteren, nicht die jüngeren Menschen getroffen hat, sind Afrika und andere Regionen, mit denen wir uns ja auch viel beschäftigen, einigermaßen verschont geblieben – und zwar trotz der schwachen Gesundheitssysteme dort.

Frage: Welche Schwächen hat die Pandemie beim deutschen Gesundheitssystem offenbart?

Antwort: Das ist zum Beispiel der Datenschutz. Das ist zwar grundsätzlich ein hohes Gut: Aber die Folge daraus war, dass wir auch, als die Pandemie schon zwei Jahre fortgeschritten war, gar nicht so richtig wussten, wie viele Menschen eigentlich geimpft waren und wie sie geimpft waren und wie viele schon infiziert waren. Und deswegen fehlten uns dann immer die Informationen zu Herden-Immunität und zur Wirksamkeit der Impfung. Das ist etwas, was man sicherlich verändern muss.

Das schwerwiegendste sind die gesellschaftlichen Folgen: die Skepsis gegenüber der Wissenschaft, die Impfablehnung. Offenbar konnten wir nicht gut überzeugen. Wir hatten eine sehr gute Impfung, und trotzdem haben sie doch gar nicht so wenige Menschen abgelehnt. Darüber müssen wir uns Gedanken machen, wie man da die Menschen besser mitnehmen kann.

Frage: Ist eine Pandemie dieser Größenordnung etwas, womit man ständig rechnen kann in Deutschland?

Antwort: Einerseits war es eine Ausnahmeerscheinung, aber wir müssen andererseits immer wieder damit rechnen, dass so etwas kommt. Natürlich weiß keiner so richtig, wann das sein wird. Es kann sein, dass nächstes Jahr eine andere Pandemie beginnt, zum Beispiel eine Influenza-Pandemie, aber es kann auch sein, dass es noch mal 20 Jahre dauert. Das macht es für die Politik schwierig, das ständig auf der Tagesordnung zu haben. Und das sehen wir jetzt auch – es sind andere Dinge auf der Tagesordnung, die jetzt gerade akut sind wie etwa die Kriege in der Ukraine oder in Gaza.

Trotzdem muss man aufpassen, dass man das nicht so schnell vergisst, damit man im Fall des Falles dann auch besser vorbereitet ist.

Frage: Im Vergleich zu vor 100 Jahren: Ist man auf so etwas besser eingestellt oder immer noch ausgeliefert?

Antwort: Wir haben vor allen Dingen etwas, was die Menschen vor 100 Jahren noch nicht hatten, nämlich Impfstoffe. Und wir haben oft eine Möglichkeit, auch schnell einen Impfstoff zu konstruieren und zu produzieren, das ist ja unsere Rettung bei der Corona-Pandemie gewesen.

Gleichzeitig ist unsere Welt aber auch viel globaler geworden. Wir können innerhalb von wenigen Stunden von jedem Ort der Welt zu jedem anderen Ort der Welt kommen. Insofern können sich auch Viren sehr schnell ausbreiten, dass hatten wir vor 100 Jahren noch nicht.

Zudem haben wir mittlerweile Massentierzucht. Dadurch verbreiten sich auch Vogelgrippe oder andere Infektionen sehr schnell auch in der in der Tierwelt aus. Mobilität und Massentierhaltung sind also durchaus größere Risiken für neue Pandemien.

Frage: Wie viele “neue Krankheiten” erforscht das Institut denn durchschnittlich in einem Jahr?

Antwort: So richtig “neue” Erreger gibt es kaum. Wir kannten zum Beispiel auch vor Covid-19 den Corona-Erreger, haben aber nicht damit gerechnet, dass der sich so plötzlich so schnell über die Welt ausbreiten kann. Aber es gibt natürlich immer Abarten von Erregern mit bestimmten Mutationen, die dazu führen, dass sie dann virulenter sind, also zu schweren Erkrankungen führen oder resistent gegen Medikamente sind.

Oder eben neue Situationen wie bei den Affenpocken: Das ist ja kein neuer Erreger, aber wir haben eine größere Ausbreitung, weil die Menschen mit einer Pockenimpfung immer weniger werden. Sie sterben sozusagen aus. Deswegen gibt es jetzt mehr Affenpocken an Stellen, wo wir bisher nicht damit gerechnet hatten bisher. Aber so ganz neue Krankheiten – das gibt es kaum.