Sorge um Spaltung – Autor: Soziale Geschmeidigkeit entscheidet
Die Angst vor politischem Extremismus steigt Studien zufolge. Zugleich beobachten Fachleute eine Entfremdung von Politik und Institutionen. Ein Politikwissenschaftler bietet nun eine sozialpsychologische Erklärung.
Martin Hecht war zunächst irritiert und dann neugierig. So schildert es der Politikwissenschaftler selbst: Als jemand ihm sagte “sei doch mal ein bisschen geschmeidig”, habe er mit diesem “eigenartigen Begriff” wenig anfangen können. Was genau sollte das heißen? Weniger bockig sein, eher etwas hemdsärmelig? Oder etwa aalglatt daherkommen? Aus seinen folgenden Recherchen ist das Buch “Das geschmeidige Ich” entstanden, das am (heutigen) Montag erscheint.
Um Gesellschaftskritik allein geht es dem Autor nicht, auch wenn viele bei Schlagworten wie “Selbstdarstellung” schnell an die Nebenwirkungen von Sozialen Medien denken mögen. Geschmeidigkeit sei ein uraltes soziales Schmiermittel, erklärt Hecht, und sie könne durchaus mit Anmut, Eleganz und Ästhetik zu tun haben. Zum Problem werde die Geschmeidigkeit dann, wenn sie den Menschen im Griff habe, “wenn jeder nur noch versucht, sich geschickt durchzulavieren und das große Ganze aus dem Blick gerät”.
Laut der alljährlichen Studie “Die Ängste der Deutschen” hat die Sorge vor politischem Extremismus von allen abgefragten Themen am stärksten zugenommen – mehr als die Angst vor dem Klimawandel oder vor steigenden Lebenshaltungskosten. 46 Prozent der Befragten bezeichnen ihre Sorge bezüglich Extremismus als groß, wie das Infocenter der R+V Versicherung mitteilte. 48 Prozent fürchten demnach islamistischen Terror, 38 Prozent rechts- und sieben Prozent linksextremen.
Politikwissenschaftlerin Isabelle Borucki sprach bei der Vorstellung der Studie von einem besorgniserregenden Anstieg. Viele Menschen befürchteten nicht weniger als eine Aushöhlung der Demokratie. “Die Sorge um das Spaltungspotenzial ist tief verankert”, so Borucki. Es brauche mehr Anstrengungen, um das sinkende Vertrauen wiederherzustellen – und zudem mehr Investitionen in die Prävention von Extremismus.
Eine zentrale Frage ist laut Borucki, welche Konzepte von Demokratie die Menschen leben wollten. Hecht sieht indes die soziale Geschmeidigkeit als entscheidend dafür an, “ob man in dieser Gesellschaft zu den Gewinnern oder den Verlierern gehört”. Die Frage sei also, ob es einem gelinge, sympathisch und gelassen zu erscheinen, “mit sich im Reinen, dazu anderen gegenüber achtsam, ‘im Hier und Jetzt’. Man muss authentisch rüberkommen, originell, kreativ, spontan, dazu auch noch humorvoll, auf jeden Fall smart, locker, tiefenentspannt”.
Dementsprechend stünden sich die “Abgehobenen” und die “neiderfüllten Bodenständigen” mitunter unversöhnlich gegenüber: Wer nicht den Lebensstandard erreicht habe, der doch zum Greifen nah erscheine, der könne diejenigen als arrogant empfinden, die auf Partys genau wüssten, wie sie das Sektglas lässig halten, wie sie locker ins Gespräch kommen, wie sie entspannt über den Job und das Leben plaudern. “Die vermeintliche Erreichbarkeit von allem für alle – das ist unsere Religion geworden”, sagt der Autor.
Längst geht es laut Hecht nicht mehr allein um Finanzfragen oder äußerliche Statussymbole. Angesichts des hohen Zuspruchs, den die AfD bei den jüngsten Landtagswahlen auch unter jungen Menschen erfahren hat, spricht er von einem Verlust von Selbstwirksamkeit. “Demokratische Versprechen der Gesellschaft sind erodiert”, erklärt er. Dies betreffe Pläne wie den, “einen Bildungsabschluss zu erwerben, eine Familie zu gründen, Eigentum zu erwerben, dort zu leben, wo man leben möchte”. Wenn Menschen merkten, dass diese Wünsche unerreichbar würden, könne daraus massiver Frust entstehen.
Zugleich beobachtet der Autor, dass Menschen “sich noch nie so sehr auf sich selbst bezogen haben wie heute”. Verbindungen zu einer Gemeinde oder politischen Partei spielten eine immer geringere Rolle, stattdessen konkurrierten “einzelkämpfende Selbstdarsteller” um Aufmerksamkeit, um Klicks und Likes, darum, endlich “anzukommen” auf der Sonnenseite. Hoffnung sieht Hecht darin, dass Menschen diesen Verlust durchaus spürten. Sein Appell: “Man muss wieder Räume schaffen, in denen Gemeinschaft erlebt wird.”