So feiern Flüchtlinge Advent

Auch wenn in ihrem Kalender Weihnacht nicht vorkommt: Flüchtlinge feiern in ihren Unterkünften Advent – mit Plätzchen, Gospelmusik und einer friedlichen Botschaft.

Der Chor "Vocalvielharmonie" singt, und die Flüchtlinge im Flüchtlingshaus Osnabrück hören zu
Der Chor "Vocalvielharmonie" singt, und die Flüchtlinge im Flüchtlingshaus Osnabrück hören zuHermann Pentermann / epd

Osnabrück/Braunschweig (epd). Fatima kann gar nicht genug bekommen: Mit ihrer Handykamera filmt die 23-jährige Afghanin unermüdlich die kleine Adventsfeier im niedersächsischen Erstaufnahmelager in Osnabrück. Erst seit drei Tagen ist sie mit ihrem Mann und den beiden Kindern in Deutschland. Natürlich kenne sie Weihnachten, gibt die Muslimin mit glücklichem Lächeln und gestikulierend zu verstehen. Dann lässt sie die Kamera über die liebevoll geschmückten Tische gleiten.
Etwa 20 Frauen der benachbarten Kirchengemeinden und Bürgervereine haben dem zweckmäßig eingerichteten Speisesaal mit roten Servietten, Kerzen, Kiefernzapfen, und Tannenzweigen ein wenig vorweihnachtlichen Glanz verliehen. Selbst gebackene Makronen, Spritzgebäck, Spekulatius und Mandarinen haben sie auf Teller drapiert. Weitere Ehrenamtliche haben fast 40 Torten gebacken. 
In den meisten der fünf niedersächsischen Erstaufnahmelager und mehr als 30 Notunterkünften organisieren Mitarbeiter und Freiwillige in diesen Tagen Nikolausbesuche, Advents- und Weihnachtsfeiern. Schulklassen verteilen Weihnachtspäckchen. In Oldenburg basteln Rentner mit Flüchtlingskindern Papiersterne und stellen Weihnachtsbäume auf. In Garbsen und Osnabrück haben Freiwillige Plätzchenback-Aktionen ins Leben gerufen.

Grillfest am Heiligabend

In Nordenham laden einheimische Familien am ersten Weihnachtstag Flüchtlingsfamilien zu sich nach Hause ein. In Sarstedt bereiten Ehrenamtliche am Heiligabend ein Grillfest mit Gospelmusik vor. "Es gibt keine Anweisungen. Jede Einrichtung bietet das an, was sie für sinnvoll hält", sagt der Sprecher der Landesaufnahmebehörde, Stefan Pankratowitz.
Damit spielt er auf einen Balanceakt an, den die vielen Helfer mal locker, mal sehr ernsthaft angehen. Die große Mehrheit der Flüchtlinge, die in den Sammelunterkünften leben, sind Muslime, Yesiden oder Angehörige anderer nichtchristlicher Religionen. In ihrem Jahreskalender kommt Weihnachten nicht vor. Dennoch wollen die meisten Gastgeber ihnen das Fest der Geburt Jesu nicht vorenthalten – allerdings ohne allzu deutlich auf den christlichen Aspekt zu verweisen. "Wir wollen hier natürlich nicht missionieren", sagt Sabine Weber, Geschäftsführerin des Diakoniewerks, das in Osnabrück die Erstaufnahmeeinrichtung leitet.
Weihnachten sei schließlich auch ein Fest des Friedens. Und ein Fest der Lichterketten, der geschmückten Tannenbäume, des Dufts von Zimt und Nelken und der fröhlichen Melodien mit Glockengeläut und Schellen. Daran kommen die Zuwanderer derzeit ohnehin nicht vorbei, sagt Anne-Marie von Koss, Hauptorganisatorin der Adventsfeier im Osnabrücker Flüchtlingshaus. "Sie sehen all den Schmuck in den Städten und wollen wissen, was für ein Fest wir feiern. Viele wissen aber auch Bescheid und freuen sich mit uns."
Deshalb auch hat von Koss ganz bewusst den Sängern der "Vocalvielharmonie", die die Adventsfeier musikalisch begleiten, Weihnachtslieder ins Programm geschrieben. So erklingen neben weltlichen klassischen Stücken auch "Maria durch ein Dornwald ging" und "Ding dong merrily on high".

Latifa wünscht "Merry Christmas"

Minutenlang verharrt Fatima mit laufender Handykamera vor dem Chor. Ihr fünfjähriger Sohn Mousse balanciert derweil grinsend einen Teller quer durch den Raum zu seinem Platz. Darauf stapeln sich Kuchenstücke und Pralinen, eingepackt in rotgolden glänzendes Papier mit einem Schneemann darauf. "Schnee", sagt Mousse stolz. Das Wort hat er gerade von einer der Sängerinnen gelernt.
Am Nachbartisch sitzen Latifa und ihr Sohn Ali. Auch ihre Flucht aus Syrien ist erst vor wenigen Tagen zu Ende gegangen. Latifa lächelt schüchtern unter ihrem Kopftuch. Die Musik sei "wunderbar". Dann steht sie auf, verbeugt sich und wünscht ganz leise: "Merry Christmas." (epd)