Schluss mit ewiger Ruhe am Bornkamp

Zu hohe Kosten und immer weniger Bestattungen: Das Ende des Hamburger Friedhofs Bornkamp ist besiegelt. Einige Verstorbene wie Kurt Moser zogen post mortem um – eine Belastung für die Angehörigen.

Viele Gräber auf dem Friedhof Bornkamp laufen ab
Viele Gräber auf dem Friedhof Bornkamp laufen abJulia Fischer

Hamburg. Als Ursula Moser ihren Mann Kurt 2007 auf dem Friedhof Bornkamp in Hamburg-Bahrenfeld beerdigte, hätte sie nicht gedacht, dass er diesen Ort noch einmal verlassen würde. Das ahnte sie auch noch nicht, als sie im Herbst 2011 einen Brief von der Verwaltung der Evangelischen Friedhöfe Altona bekam, in dem die Außerdienststellung des Friedhofs angekündigt wurde. Doch nach viel Schriftverkehr und diversen Gesprächen mit Gesundheitsbehörde, Pastor und Friedhofsverwaltung zog ihr Mann auf den benachbarten Friedhof Holstenkamp um. "Das war alles ziemlich aufregend", erinnert sich die 80-Jährige.
Die wirtschaftliche Situation der Friedhöfe Altona zwang die Verwaltung vor fünf Jahren zu drastischen Veränderungen. "Als die Bestattungszahlen auf zusammen 500 pro Jahr zurückgingen, musste was passieren", sagt Kerstin Harriehausen, Geschäftsführerin des Evangelischen Kirchengemeindeverbands Altona, dem Träger von insgesamt vier Friedhöfen in Altona und Bahrenfeld. Die drei großen Parkfriedhöfe Bornkamp, Diebsteich und Holstenkamp liegen in unmittelbarer Nähe zueinander und dazu noch in einer Gegend, in der kaum jemand wohnt. Insgesamt ist die Fläche etwa zweimal so groß wie die Binnenalster und wird umringt von Gewerbegebieten. 2011 waren nur noch etwa 20 Prozent der Fläche ausgelastet.

Bestattungskultur verändert sich

Viele Friedhofsverwaltungen müssen inzwischen umdenken. Die Bestattungskultur verändert sich, Bestattungsgesetze werden lockerer, neue Konkurrenz taucht auf: etwa durch kommerziell betriebene Bestattungswälder. Zudem gehen die Zahlen der Beerdigungen zurück. Vor einem Jahr gründeten einige Friedhofsverwalter sogar einen Verein, um die kirchlichen Friedhöfe besser zu vermarkten. Insgesamt gibt es auf dem Gebiet der Nordkirche etwa 1.500 kirchliche Friedhöfe.
So wie Ursula Moser wurden vor fünf Jahren alle 2.500 Grabnutzer vom Kirchengemeindeverband Altona angeschrieben. Davon nahmen knapp 90 das Angebot des persönlichen Gesprächs an. Moser erfuhr, dass nur noch Ehepartner und Lebensgefährten beigesetzt werden können. Ihre drei Töchter hätten also nicht mehr neben den Eltern ihre letzte Ruhe finden können. Das kam für Moser nicht in Frage: Sie bat um die Umbettung ihres Mannes auf den Friedhof Holstenkamp, damit ihre Nachfahren im Familiengrab beerdigt werden können.

Bis zum Ende des Friedhofs dauert’s noch

Nach einer Bestattung gilt für ein Sarggrab eine Ruhezeit von 25 Jahren, für ein Urnengrab von 20 Jahren. Wenn auf dem Friedhof Bornkamp die letzte Ruhezeit abgelaufen ist, beginnt noch eine Pietätsfrist von 25 Jahren. Sollte also der letzte Angehörige in 15 Jahren sterben, so kann der Friedhof frühestens 2076 zum öffentlichen Park werden. Was genau mit dem Areal passiert, darüber mag heute noch niemand konkret sprechen. Es werde vermutlich immer eine Grünfläche bleiben, so Harriehausen. Das müsse dann irgendwann die Stadt entscheiden.
Während der Umbettung selbst war keiner der Angehörigen anwesend. "Ich wollte so wenig wie möglich darüber hören oder nachdenken", so Moser. Für Angehörige wäre das auch nicht zumutbar, sagt ein Angestellter der Friedhofsverwaltung. Auch für die Mitarbeiter sei es bei aller professionellen Distanz keine leichte Aufgabe. Sie hätten möglichst versucht, andere Wege zu finden und nur auf äußersten Wunsch der Angehörigen eine Umbettung durchgeführt, sagt Harriehausen. Rechtlich gesehen wären auch Zwangsumbettungen möglich gewesen. "Aber das kam für uns als evangelischer Friedhof nicht in Frage", sagt sie. "Wir haben schließlich ein christliches Profil." Viele Leute hätte die Außerdienststellung so schon geschockt.

Viele Gräber zugewachsen

Dem Friedhof, der Ende des 19. Jahrhunderts angelegt wurde, sieht man seine ungewisse Zukunft inzwischen durchaus an. Viele Gräber sind so zugewachsen, dass man kaum die Inschrift auf den Grabsteinen lesen kann. Auf vielen Steinen kleben kleine gelbe oder grüne Aufkleber: "Alle Grabrechte enden mit Ablauf dieses Jahres" oder "Unfallgefahr – Grabstein lose!". Zwischen den Gräbern gibt es viele Freiflächen, auf denen nur Gras wächst. Es sind kaum Besucher unterwegs, aber eine Friedhofsgärtnerin fährt mit einem Elektrorasenmäher über die Wiesen.
Nicht nur das Gelände Bornkamp verändert sich, auch die benachbarten Friedhöfen werden umgestaltet. Bestattet werde nur noch jeweils "in einem Kernbereich, die restlichen Flächen werden ausgedünnt", so Harriehausen. Die Flächen sollen "pflegeleichter" werden, denn die 23 Mitarbeiter, die heute noch in übergreifenden Teams auf den vier Friedhöfen arbeiten, kann sich der Kirchengemeindeverband auf Dauer nicht leisten. 
Ursula Moser hat das Thema inzwischen für sich abgeschlossen. Sie geht nur noch selten selbst zum Grab ihres Mannes, ihr Alter lasse lange Ausflüge nicht mehr zu. "Aber das macht nichts, denn ich weiß jetzt, wo er ist und wo ich irgendwann hinkomme." (epd)