Die Normalität ist noch eine andere

„Schausteller sind keine Kirchgänger“, sagt Dompastor Friedrich Brandi. Dennoch ist er für die reisenden Leute ein wichtiger Ansprechpartner. In einem Podcast lässt er die vergangenen eineinhalb Jahre Corona-Pause Revue passieren.

Nach eineinhalb Jahren ist Dompastor Friedrich Brandi wieder für die Schausteller da.
Nach eineinhalb Jahren ist Dompastor Friedrich Brandi wieder für die Schausteller da.epd/Kristina Tesch

Hamburg. Wenn Friedrich Brandi zum Gottesdienst lädt, ist es bereits halb zwölf. Nicht morgens, sondern nachts. Und es wird auch nicht in einer Kirche gefeiert, sondern im Hanseaten, einem Bierzelt. Friedrich Brandi ist Pastor für die Schausteller im Norden und drei Mal im Jahr als Seelsorger auf dem Hamburger Dom unterwegs. Nach eineinhalb Jahren Corona-Pause geht es nun wieder los auf dem Heiligengeistfeld. Endlich Normalität, wenn auch anders. „Normalerweise kommen so 20 bis 30 Schausteller in den Gottesdienst“, erzählt er. Nach einem arbeits­reichen Wochenende auch schon mal mit Weinschorle oder Bier in der Hand. Die Stimmung ist entsprechend aufgekratzt. „Dieses Mal kamen 70 Menschen.“ Die Dankbarkeit aber auch die Euphorie sei enorm.

Zum Beispiel bei Thea Gnegel-Richters. Seit sie denken kann, spielte sich ihr Leben auf dem Dom ab. „Ich bin hier groß geworden“, erzählt sie. Drei Mal im Jahr steht sie mit ihrem Schaustellergeschäft und ihrem Ausschank auf dem Heiligengeistfeld. Zwei Wochen aufbauen, vier Wochen Dom, zwei Wochen wieder abbauen. „Wir sind reisende Leute. In den vergangenen Monaten war ich wie lahmgelegt. Es fehlt einem“, sagt sie. Dass es nun wieder losgeht, sei wie ein „Nach-Hause-kommen“.

Der stammelnden Religion eine Sprache geben

„Schausteller an sich sind keine Kirchgänger. Sonntags arbeiten sie“, erklärt Brandi. Aber sie seien fromme Menschen mit einem tiefen religiösen Bewusstsein. „Auch wenn sie natürlich immer ihre Scherze machen wie „Pastor, sorg mal für schönes­ Wetter“ oder so. Doch sie lebten in dem tiefen Bewusstsein, dass sie nicht alles in der Hand haben. Sei es das Wetter, die Besucherzahlen, die Auflagen der Börden. „Das ist für mich ein tief religiöses Gefühl“, sagt Brandi. Auch wenn die Schausteller selbst das gar nicht so in Worte fassen würden. „Diese Themen versuche ich immer wieder aufzugreifen“, sagt er. „Ich bin derjenige, der der stammelnden Religion eine Sprache gibt.“

Durch Corona sei das noch einmal stärkere in Thema gewesen. Viele Schausteller seien sehr einfallsreich mit der Situation umgegangen, Als es nicht mehr möglich war, ihre Fahr­geschäfte aufzubauen, hätten einige sich Arbeit in Bäckereien oder als Lkw-Fahrer gesucht.

Der Hamburger Dom ist eine Gemeinschaft auf Zeit

Es seien gar nicht unbedingt nur die finanziellen Einbußen gewesen, die den Schaustellern in den vergangenen Monaten zu schaffen gemacht hätten, erzählt Brandi. „Sie sind es gewohnt, unterwegs zu sein.“ Man müsse sich den Dom wie ein Dorf vorstellen. Eine Gemeinschaft auf Zeit – mit Kindergarten und Konfirmandenunterricht.
Letzteres ist eine Besonderheit des Hamburger Doms. Drei Mal im Jahr, immer wenn Dom ist, lädt Friedrich Brandi die Jugendlichen samstags in die nahe gelegene Friedenskirche zum Konfirmanden­unterricht. Vier Stunden lang. Bis zu 15 Jugendliche kämen da, erzählt er.

Doch so ganz ist die Normalität noch nicht wieder zurück. Maske, Laufrichtungen, Abstand und der ganze Dombesuch will geplant werden. Denn um überhaupt die Geister­fabrik oder den Piratenfluss unsicher zu machen, müssen die Besucher ein Ticket für einen Aufenthalt online buchen. „Aber die Stimmung ist gut, da der Dom gut angelaufen ist“, sagt Sascha Belly, Vorsitzender des Landesschaustellerverbandes. Er hofft nun, dass auch im Herbst die Märkte öffnen und dass es ein Winter mit vielen Weihnachtsmärkten im Norden wird.

Das ganze Gespräch mit Dompastor Dr. Friedrich Brandi als Podcast.