Artikel teilen:

Schauspiel und Therapie – Lou Strenger über ihre “Doppelrolle”

Krankenhausphobie trifft Klinikdrama: Die Schauspielerin Lou Strenger stand trotzdem für die Medicals-Reihe “David und Goliath” vor der Kamera. Eine Arbeit, die für sie viel mehr war als nur ein Job.

Stress, Ängste, Schlafprobleme: In der Filmreihe “David und Goliath” (ab 24. September im Ersten) werden Ärzte zu Patienten. Psychotherapeutin Dina Schwarz, gespielt von Lou Strenger, bekommt den Auftrag, sich in einer Essener Klinik um die Gesundheit von 4.000 Angestellten zu kümmern. Einen ersten Klienten hat sie, noch bevor der Arbeitsvertrag unterschrieben ist. Dabei bräuchte sie Selbst Therapie. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) spricht die Darstellerin darüber, was Schauspieler mit Therapeuten gemeinsam haben, welche Diagnose sie ihrer Figur stellen würde – und warum sie eine Krankenhausphobie hat.

Frage: Frau Strenger, in der Filmreihe “David und Goliath” kämpfen sich Mediziner durch den Klinikalltag. Manche stehen kurz vor dem Burnout, manche haben sogar Suizidgedanken. Wie stressig waren die Dreharbeiten für Sie persönlich?

Antwort: Das war ein Marathon. Ich bin jeden Morgen um vier Uhr aufgestanden und kam spät zurück. Die Figur ist in jedem Bild zu sehen. Das Pensum war also enorm. Aber das ist das Schöne: Wenn etwas Spaß macht, dann fühlt es sich nicht wie Stress an. Die Zusammenarbeit mit dem Team und dem Regisseur war unheimlich harmonisch.

Frage: Wie haben Sie sich auf Ihre Rolle vorbereitet?

Antwort: Es lagen drei Wochen zwischen Zusage und Drehbeginn. Da hatte ich wenig Zeit zur Vorbereitung. Damals steckte ich noch in den Proben zu den Nibelungen-Festspielen. Dort musste ich schweren Herzens aussteigen, weil es sich zeitlich überschnitten hat. Die meiste Vorbereitung ging erstmal ins Textlernen, weil ich wusste, während des Drehs wird keine Zeit dafür sein. Es gab Proben mit meinen Kollegen und viele Telefonate und Zooms mit der Regie, in denen ich jedes Mal ein bisschen mehr über Dina herausfinden konnte.

Frage: Sie haben eine Ausbildung zur Traumatherapeutin gemacht. Analysiert man Figuren mit so einem beruflichen Hintergrund anders?

Antwort: Ja, man liest die Figuren kritischer. Manchmal finde ich zum Beispiel, dass Dina sehr weit über das hinausgeht, was als Therapeutin noch im Rahmen ist – wie sie etwa traumatisierende Erfahrungen re-inszeniert. In den Filmen vermischt sie außerdem manchmal Persönliches und Berufliches. Das würde ich versuchen anders zu machen.

Frage: Dina ist also komplett anders als Sie?

Antwort: Ganz anders. Und doch verstehe ich sie. Sie kommt aus einer toxischen Beziehung, hat ein angespanntes Verhältnis zu ihren Eltern. Sie hat also keinen Rückhalt. Selbst bei ihrem besten Freund bin ich nicht sicher, ob er überhaupt existiert. Er trifft sich mit keinem anderen Menschen in den Filmen – außer Dina. Vielleicht spricht sie also auch nur mit sich selbst.

Frage: Warum haben Sie die Ausbildung zur Therapeutin gemacht?

Antwort: Das hat sich ungeplant so ergeben. Als Corona kam, bin ich über die Ausbildung gestolpert. Ich probiere das erstmal für ein paar Wochen, sagte ich mir. Dann war ich so begeistert, dass ich die Ausbildung nach drei Jahren abgeschlossen habe. Ich hatte keine Pläne, das später zu praktizieren. Aber Schauspiel und Therapie haben viele Gemeinsamkeiten. Man beschäftigt sich bei beidem im Kern mit der Frage, war einen Menschen antreibt und zu dem macht, der er ist.

Frage: Praktizieren wollten Sie den Beruf nicht. Klienten haben Sie aber bis heute?

Antwort: Das stimmt. Ich habe damals einigen Leuten von meiner Ausbildung erzählt. Freunde kamen schon vorher immer zu mir, wenn es Probleme gab. Jetzt hatte ich zum ersten Mal so etwas wie einen Handwerkskoffer. Ein halbes Jahr nach meiner Ausbildung hatte ich schon 40 Klienten. Das musste ich eindämmen. Ich könnte das zeitlich gar nicht in der Regelmäßigkeit leisten, wie sie viele während der Therapie brauchen.

Frage: Dina braucht offenbar selbst Therapie…

Antwort: Dina stürzt sich in ihre Arbeit und lenkt sich von sich selbst ab. Sie ist geprägt durch ihre Kindheit und jüngste Vergangenheit, und manches ist vielleicht auch einfach ihr Charakter. Zu anderen Menschen findet sie nur durch therapeutische Momente wirklich Kontakt oder wenn sie mit ihrer Schwester ist, für die sie dann aber auch wieder Verantwortung übernehmen muss.

Frage: Sie waren schon in ganz unterschiedlichen Frauenrollen zu sehen: als Helene Weigel im Film “Brecht” oder auch als Polizistin Tanja Hartholz in der Miniserie “Höllgrund”. Was ist Dina für eine Frau – eine mit Helfersyndrom oder mehr die Toughe?

Antwort: Ich glaube, sie ist eine, die Ungerechtigkeit schlecht aushält. Wenn es um ihre Mitmenschen geht, dann springt etwas bei ihr an. Und dafür setzt sie sich komplett ein. Das sieht wie Toughsein aus. Aber vielleicht ist es auch ein Stück weit eigene Verletzlichkeit, die Dina damit kompensiert. Die Stärke oder Härte in Menschen entsteht meist aus Herausforderung, aus Krisen und Wunden. Wie bei einem Muskel, der trainiert werden muss. Ich würde deshalb sagen: Dina ist eine Kämpferin. Das ist etwas, das ich an ihr mag.

Frage: In der Filmreihe spielt Ulrike Tscharre die Klinikchefin Veronika Jelinek. Mit ihr standen Sie schon in der Fernsehserie “Höllgrund” vor der Kamera. Wie war die Zusammenarbeit?

Antwort: Schön. Wir kannten uns schon aus “Höllgrund”, wussten, wie der andere tickt. Auch da waren wir Widersacherinnen. Privat hat unser Verhältnis aber eher etwas Mütterliches.

Frage: Was verbindet und was trennt die beiden Frauen?

Antwort: Es sind zwei Frauen, die sich im Kern sehr ähnlich sind, die aber an komplett unterschiedlichen Fronten kämpfen. Beide sind einsam, geradlinig und konsequent. Beide lassen sich nicht reinreden, beide haben Rückgrat. Darin erkennen sie sich und begegnen sich auf Augenhöhe. In diesem Fall also: Was sich kabbelt, das mag sich.

Frage: Die Reihe wurde während des laufenden Klinikbetriebs gedreht. Wie viel bekamen Sie davon mit?

Antwort: Wir haben in einem stillgelegten Trakt gearbeitet. Wenn wir in eine andere Station gewechselt sind, dann begegnete man sich. Ansonsten bekamen wir aber wenig vom Klinikleben mit.

Frage: Haben Sie vor den Dreharbeiten zur Vorbereitung ein Krankenhaus besucht?

Antwort: Ja, ich bin zwei Tage lang mit einem befreundeten Arzt mitgelaufen. Eigentlich habe ich eine Krankenhausphobie. Ich finde das System dort nicht menschenfreundlich. Klar, die Mediziner und Pflegekräfte tun ihr Bestes. Aber dann ist da allein schon dieses Krankenhausessen. Dann der Umgang mit den Patienten: Wenn eine Frau mit 80 kommt, dann wird sie behandelt wie Fallobst. Meine Schwester wollte immer Ärztin werden. Ihr sage ich heute: Das hättest du nicht überlebt. Das ist eben ein Krankenhaus – kein Gesundheitshaus.

Frage: Gab es für Sie schwierige Momente beim Dreh?

Antwort: Während der Proben kam ich immer wieder an einer verschlossenen Tür vorbei, und irgendwie umgab die so eine komische Stimmung. Irgendwann sagte mir jemand: Das ist der Aufbewahrungs- und Abschiedsraum von Verstorbenen. Das hat mich angefasst, weil ich am Ende des Tages ja nur eine Gauklerin bin, die so tut, als ginge es um Leben und Tod. Aber plötzlich vor einem Leichenwagen zu stehen – das nenne ich einen ordentlichen Realitätscheck.

Frage: Hat die Rolle von Dina darüber hinaus etwas mit Ihnen gemacht?

Antwort: Jede Rolle macht etwas mit einem. Das ist ein Geschenk, das man am Ende des Tages mitnehmen kann. Bei Dina ist das die Erkenntnis: Scheiß drauf, was andere sagen. Ich stehe ein für das, was mir wichtig ist. Ich konnte mit dem Dreh deshalb ein Stück an Schüchternheit ablegen.