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Religion und Vision

UK 21/2017, Annette von Droste-Hülshoff (Seite 13: „Nur der Baum war Zeuge“)
Aus guten Gründen erinnert der Beitrag an Annette von Droste-Hülshoff. Lassen Sie mich zwei dieser guten Gründe vertiefen: den literarischen (1)und den psychologisch-religiösen (2.).
Zu 1). Annette von Droste-Hülshoff ist nicht nur „eine der wichtigsten Dichterinnen“, nein, sie ist wahrscheinlich die größte deutsche Lyrikerin. Inwiefern? Die Droste gestaltet nicht einfach Erlebnislyrik, sucht nicht ihr eigenes Erleben in der Natur, sondern sie lässt Natur selber sprechen – vielgestaltig, streng und düster: „Unke kauert im Sumpf/Igel im Grase duckt. In dem modernden Stumpf/schlafend die Kröte zuckt. Und am sandigen Hange/rollt sich fester die Schlange.“
Zu 2). Dass sich bestimmte Erzählstücke der Novelle „Die Judenbuche“ nicht zuletzt „im religiösen Wertekosmos“ bewegen, hat spezifische persönliche Gründe: Zum einen ringt die Droste um die Gewissheit des ererbten Glaubens, eindrucksvoll belegt in der Gedichtfolge „Das geistliche Jahr“ (posthum 1851); zum anderen ist ihr das so genannte Zweite Gesicht zu eigen; dies befähigt nicht nur die eigene Seele zu besonderer Erlebnisfähigkeit, sondern lässt auch Welt und Menschen, Natur und Landschaft anders sehen – wiederum zum Vorteil dichterischer Vision.

Dr. Dieter Burkert, Dortmund