Es birgt bedeutende Bestände mittelalterlicher Kunst und zeitgenössische Werke: Das Rottenburger Diözesanmuseum wurde ein Jahr lang für 1,2 Millionen Euro umgebaut, um seine Schätze zeitgemäß zu präsentieren.
Warum sollten Menschen im Jahr 2025 in ein Museum gehen, das religiöse Kunst aus dem Mittelalter zeigt? Die Antwort, die Melanie Prange, Leiterin des Diözesanmuseums Rottenburg liefert, überrascht zunächst. Sie verweist nicht auf die meisterhaften Maltechniken großer Künstler. Sie betont nicht die Bildaufteilung, die das Leben und Sterben Christi und Schlüsselmomente im Dasein Marias so irritierend lebendig in Szene setzen.
Die Kunsthistorikerin sagt stattdessen: “Man kommt hier zur Ruhe.” Und das sei für die oft gestressten Menschen des Social-Media-Zeitalters dringend notwendig.
Nach einjährigen, rund eine Million Euro teuren Sanierungs- und Umbauarbeiten wird das Diözesanmuseum Rottenburg am Wochenende wiedereröffnet. Am Samstag gibt es einen Festakt mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und Bischof Klaus Krämer. Ab Sonntag ist das Museum wieder für Besucher geöffnet.
Es zeigt bedeutende Bestände mittelalterlicher religiöser Kunstwerke, die mit zeitgenössischer Kunst kontrastieren. Die 1,2 Millionen Euro teuren Umbaumaßnahmen waren nur mit Hilfe eines überraschenden und großzügigen Erbes des verstorbenen Tübinger Ehepaares Gertrud und Robert Ulrich möglich, wie Weihbischof Gerhard Schneider vor Journalisten sagte.
Die Ausstellung zeige, “dass die alten Kunstwerke Fragen behandeln, die immer noch aktuell sind”, sagte Prange. “Woher kommen wir? Was gibt uns Halt? Was ist uns heilig?” Die Museumsleiterin weiß aus Führungen, dass christliche Kunst aus dem Mittelalter sich “einem zeitgenössischen Publikum nicht mehr automatisch vermittelt”.
Als Prange einmal einer Studierendengruppe ein Gemälde zeigte und fragte, was man darauf dargestellt sehe, sagte eine Person aus der Gruppe: “Eine Frau und einen Mann mit Flügeln.” Die Studierenden standen vor dem Gemälde “Verkündigung an Maria” – jener biblischen Szene, in der Maria die Geburt Jesu von einem Engel angekündigt wird.
Besucher werden in der Ausstellung nicht gleich mit religiösen Informationen überfrachtet. Sie werden eher vorsichtig herangeführt, mit Schildern wie “Schlüsselerlebnisse” im Leben Marias. Besucher bekommen zudem kleine tragbare, goldfarbene Rahmen aus Pappe, die sie vor die Gemälde halten können. Auf dem Rahmen steht etwa die Frage: “Wo siehst Du Schönheit?” oder “Wo siehst Du Hoffnung”?” und die Aufforderung: “Mach Dir ein Bild.”
Wer es noch handfester mag, was vor allem auf Kinder zutreffen dürfte, kann auch Dinge anfassen: einen täuschend echt nachgebildeten goldenen Bischofsstab oder einen goldenen Kelch. Für Familien gibt es einen “Museumskoffer”, der etwa einen kleinen ausklappbaren Altarflügel enthält.
Gleich im Eingangsbereich können Besucher mit zwei XR-Brillen virtuell in die Schatzkammer des Museums eintauchen und Exponate “anfassen” – was ein Journalist bei der Pressevorbesichtigung schlicht mit dem Ausruf “Wahnsinn!” quittierte. Er fühlte sich nach eigenen Worten “fast wie betrunken” auf dem nur für ihn sichtbaren Weg durch die Schatzkammer.
Ziel der Neukonzeption sei es gewesen, “Schwellen abzubauen” – nicht nur für Besucher mit Behinderungen, sondern für das heutige “diversere Publikum” allgemein, sagt Prange. Man müsse heute mehr erklären, dürfe weniger voraussetzen, um die Kunstwerke mit ihren “verschiedenen Bedeutungsebenen” zu vermitteln.
“Anschlussmomente” biete in der neuen Dauerausstellung auch zeitgenössische Kunst – wie etwa die Projektion eines meterhohen, ständig sprudelnden Wassers an der nackten Innenwand des Museums. Der Titel des Werkes der Augsburger Künstlerin Karen Irmer lautet “Aufgehoben”. Die Wasser-Projektion verleiht etwa der wenige Meter entfernt stehenden und aus dem 15. Jahrhundert stammenden Holzfigur “Christus auf dem Palmesel” eine ganz neue Lebendigkeit.
Das Museum ist architektonisch in die ehemalige Karmeliterkirche integriert, die um das Jahr 1800 säkularisiert worden war. 1996 war es an diesem Standort eröffnet worden. Auf fast 800 Quadratmetern Ausstellungsfläche sind 396 Objekte zu sehen, auf drei Museumsebenen. Der hohe und weite Ausstellungsraum, der vorher durch Stellwände eher verschachtelt gewesen sei, atme nun wieder, sagte Prange. Man wolle nun mit niederschwelligen Angeboten neue Besuchergruppen gewinnen. Das Diözesanmuseum wolle ein “offenes Haus für alle” sein.