Psychologe: Therapeuten auch für spirituelle Fragen schulen
Die Zahl derjenigen, die psychologische Hilfe suchen, steigt. Nicht wenige dieser Menschen bringen eine religiöse Prägung mit. Darauf müssten medizinische Angebote laut einem Experten mehr eingehen.
Sinnsuche und Glaubensfragen spielen offenbar immer häufiger eine Rolle in Psychotherapien: Dies beobachtet der Psychologe Michael Utsch. Es brauche gezielte Weiterbildungen, damit Therapeutinnen und Therapeuten damit angemessen umgehen könnten, sagte Utsch im Deutschlandfunk. Der Mensch sei nicht nur eine “biologische Maschine”.
Kliniken entdeckten beispielsweise Meditation zunehmend als Ergänzung etwa zur Verhaltenstherapie, fügte Utsch hinzu. Sie könne helfen, aus einem “Grübelzwang” auszusteigen und das Hier und Jetzt ohne Bewertungen wahrzunehmen. “Diese veränderte Aufmerksamkeit hilft dann auch, anders auf die Störung zu blicken.”
Michael Utsch: Es braucht “religionskundliches Wissen”
Religion könne eine schützende und stärkende Wirkung haben – manche Erfahrungen könnten jedoch auch Schaden anrichten. So gebe es Menschen mit einem strafenden Gottesbild, das sie nach eigenen Worten nicht frei atmen lasse. Andere wollten dagegen aus der “Leistungsmühle” heraus und sich auf andere Werte besinnen, erklärte der Experte. Religion könne Gemeinschaft stiften, “bis zu dem Gefühl, mit einem größeren Ganzen verbunden zu sein”, das in einer von Technik und Einsamkeit geprägten Zeit sehr wertvoll sei.
Schwierig werden könne es, wenn dem zugewiesenen Therapeuten die spirituellen Fragen einer Patienten gänzlich fremd seien. Es brauche Feingefühl und “religionskundliches Wissen”, sagte Utsch. Da dies bislang kaum Teil der Ausbildung sei, würden religiöse Menschen mitunter sogar von Behandelnden gemieden. Das Thema sei jahrelang vernachlässigt worden, weil man sich einzig an naturwissenschaftlichen Erkenntnissen orientiert habe.
Gebet kein psychotherapeutisches Instrument
Zugleich sei klar: “Ein Therapeut darf kein Guru werden”, mahnte der Religionspsychologe. Es dürfe niemals darum gehen, jemandem eigene Überzeugungen überzustülpen. Vielmehr müsse die Arbeit “klientenzentriert” stattfinden, etwa durch Nachfragen, woran jemand glaube, worauf jemand hoffe, worin jemand Sinn finde – und inwieweit diese Themen in der Behandlung eine Rolle spielen sollten.
Auch müssten angewandte Methoden überprüfbar sein. “Ein Gebet ist kein psychotherapeutisches Instrument”, betonte Utsch. Wenn ein Patient etwa darum bitte, gemeinsam zu beten, könne eine geschulte Therapeutin auf seelsorgliche Angebote in der Umgebung verweisen. Beides könne Wirkung zeigen – es gehe jedoch um unterschiedliche Methoden und auch um unterschiedliche Ziele.