Vielleicht ein Ehrenamt, auf jeden Fall ein Plan: Dazu rät eine Expertin, um nach dem Abschied aus dem aktiven Berufsleben nicht in ein Loch zu fallen. Manchen Menschen drohe andernfalls eine “unglaubliche innere Leere”.
Wegen Stress mit dem neuen Chef vorzeitig in Rente gehen? Keine gute Idee, sagt die Psychiaterin Regina Gräfin von Einsiedel. “Wenn man unter Dauerstress ist, hat man einen eingeschränkten Blickwinkel”, sagte sie im Interview der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung”. Sinnvoll sei ein Vorlauf von zwei Jahren, um sich einen Plan für die Rente zu machen.
Wichtig sei die Frage: “Was ist in der Jetztzeit für mich positiv? Und was ist negativ? Und wenn ich an die Zukunft denke, was wäre da positiv, und was wäre negativ?”, erklärte die Expertin. Unmittelbar nach dem Renteneintritt erlebten viele eine sogenannte Honeymoon-Phase: “Freiheit! Euphorie! Aber irgendwann landet man im Alltag.” Wer keinen Plan habe, drohe dann in ein Loch zu fallen.
Für die Babyboomer-Generation, die in den kommenden Jahren in Rente geht, sei “Arbeit das Leben”, sagte von Einsiedel. “Da geht es nicht nur um Geld, sondern um ganz viele soziale und psychische Bedürfnisse, über die aber im öffentlichen Raum nie gesprochen wird.” Arbeit schütze vor Einsamkeit, strukturiere den Tag und das Jahr, sorge für Sozialkontakte – und unter den Babyboomern auch für Sinn. Sie zwinge zu regelmäßiger Aktivität, was ebenfalls nicht zu unterschätzen sei: “Wir müssen aufstehen, wir müssen uns pflegen, wir müssen was Vernünftiges anziehen.”
Sie habe viele Fälle erlebt, in denen Menschen nach dem Renteneintritt psychisch erkrankt seien. “Wenn man arbeitet, wird oft sehr viel Dopamin ausgeschüttet, das ans Belohnungssystem geleitet wird, sodass man sich gut fühlt und Erfolgserlebnisse hat”, erläuterte die Autorin des Buchs “Die dritte Lebenshälfte”. Wenn diese plötzlich wegfielen, kämen bei manchen Menschen auch verdrängte Kindheitserlebnisse wieder hoch.
Ein Ehrenamt könne gegensteuern, sagte von Einsiedel: “Wir brauchen Zuneigung, und die kann ich im Ehrenamt bekommen.” Es sei auch eine Frage der Persönlichkeit, welche Gestaltung des Ruhestands zu einem passe. Wer sich damit befasse, könne Überraschungen erleben: “Die meisten Leute wissen ja gar nicht, was für Glaubenssätze sie haben. Aber die muss man aufdecken.”